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Offizieller Bericht zum DAV-Kongress ΄98 in Heidelberg

 

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άber den Umgang mit Dichterstolz (Horaz, carmen 3,30)

 

„Er ischt aber auch hochmόtig g'wese und hat sich fόr den grφschte Dichter g'halte. Aber seine Gedicht' sind arg hochgetrage und nix fόr d'Landleut." (Bertaux, 226) Das bekommt am Beginn unseres Jahrhunderts ein Besucher des Hφlderlinturmes in Tόbingen von jener Frau zu hφren, die als Kind die Milch ins Haus brachte.

Und was widerfδhrt dem Altphilologen, wenn er die seltene Gelegenheit hat, seinen geliebten Horaz unter die Leute zu bringen? Soll er sich dann hinter den ausnehmend selbstbewussten Rφmer und sein carmen 3,30 stellen? Ob nun Hφlderlin oder Horaz - der Milchfrau ist nicht leicht Bescheid zu geben. Wird es Schόlern und ihren Eltern gegenόber wesentlich leichter sein?

Als ich vor einiger Zeit Gelegenheit hatte, junge Erwachsene auf das Kleine Latinum vorzubereiten, habe ich nicht gezφgert, sie (natόrlich viel zu frόh!?) mit carmen 1,9 und 1,11 bekannt zu machen. Solche Gedichte hatten mir nδmlich ein Mangelerlebnis beschert: Man mόsste Latein lernen, um das erst recht genieίen zu kφnnen! Mit carmen 3,30 dόrfte man es als Vermittler um einiges schwerer haben: es ist nicht nur „arg hochgetrage", um die Milchfrau zu zitieren; man ist auch noch in der Not, jenen nicht geringen Anspruch, den Horaz gerade in diesem Gedicht artikuliert (sonst ist er ja oft liebenswert bescheiden!), erklδren oder gar verteidigen zu mόssen. Ist er nicht auch „hochmόtig g'wese"?

Es hinge einiges davon ab, den Dichterstolz des Horaz erst einmal in seinem Kontext zu verstehen, zumal im Kontext der mehr oder weniger traditionellen Formensprache, auf die sich Horaz bei der Proklamation seines Stolzes bezieht, die auch seinen gebildeten Zeitgenossen prδsent war und an der sie sich zuweilen auch selbst als Dichter versuchten. So hδtte man dann auch eine bessere Ausgangsbasis fόr eine adδquate άbersetzung des Gemeinten (in seinem Horatius Travestitus hat όbrigens Christian Morgenstern einen Vorschlag gemacht, mit dem eine Auseinandersetzung durchaus lohnte). Dazu mφchten die folgenden Ausfόhrungen einen kleinen Beitrag leisten: Der geneigte Leser sei eingeladen zu einem kleinen Streifzug durch die Welt der antiken Epigrammkunst, in der Hoffnung, dass dieser Streifzug auch fόr ihn am Ende sich als „Beutezug" entpuppt fόr eine vertiefte Interpretation von carmen 3,30!

Seit dem Aufkommen des Buchepigramms in Griechenland am Ende des 4. Jh. v. Chr. waren das Grabepigramm, wie auch das spδter zu erφrternde Weihepigramm (vgl. Beckby I, 442f.), nicht selten freigewδhltes Thema literarischer Betδtigung, ja selbst vom Charakter der Aufschrift konnte es sich lφsen (vgl. Beckby I, 30). Carmen 3,30 kann dementsprechend als Buchepigramm aufgefasst werden. Beckby beobachtet, dass das Lob der fraglichen Person auf griechischen Grabepigrammen seit der Zeit nach 450 v. Chr. „viel breiter, intensiver und rauschender" zum Ausdruck gebracht werden kann (Beckby I,15). Es entsteht eine eigene Formensprache. Wen wundert es, dass die Epigrammdichter gerade fόr Dichterkollegen besonders warme Worte finden, so z. B. Kallimachos fόr den verstorbenen Herakleitos (A.P. 7,80)?

[...]~λλJ σO μέν που

ξε¦ν\ ^Αλικαρνησε―, τετράπαλαι σποδιή·

፠δK τεαM ζώουσιν ~ηδόνες, Btσιν Ž πάντων

^ρπακτLς \Αίδης οžκ ™πM χε¦ρα βαλε¦.

[...] Nun bist du, / Trauter aus Halikarnass, lange schon irgendwo Staub;


doch deine Lieder, sie leben, die Nachtigallen, und niemals / legt, der alles entrόckt, Hades die Hδnde auf sie.

(Beckby)

Doch fόr den reichen Krethon hat ein anderer groίer Epigrammdichter, Leonidas von Tarent (310-240 v. Chr.), nur wohlgewδhlte Worte des Bedauerns: einst konnte zwar Krethon dem Gyges Konkurrenz machen, alle priesen ihn glόcklich - jetzt ist er nur noch Staub (A.P. 7,740). Andererseits weiί man leider auch, dass selbst von vielen Musensφhnen kaum mehr bleibt. Mit der wehmόtigen Resignation des Epigonen preist Antipatros von Sidon die \Ηλακάτη und ihre Dichterin (A.P. 7,713):

ΠαυροεπLς GΗριννα καM οž πολύμυθος ~οιδα¦ς,

~λλ\ fλαχεν Μούσας το―το τN βαιNν fπος.

τοιγάρτοι μνήμης οžκ gμβροτεν οžδK μελαίνης

ΝυκτNς πN σκιερB‰ κωλύεται πτέρυγι,

፠δ\ ~ναρίθμητοι νεαρ΅ν σωρηδNν ~οιδ΅ν

μυριάδες λήθBη, ξε¦νε, μαραινόμεθα.

λωίτερος κύκνου μικρNς θρόος gε κολοι΅ν

κρωγμNς ™ν εœαρινα¦ς κιδνάμενος νεφέλαις.

Wenige Verse nur schrieb und wenige Lieder Erinna, / aber dies kleine Gedicht haben die Musen geweiht.

Darum wird man auch nie ihren Namen vergessen, und niemals / hόllen der dunklen Nacht schattende Flόgel sie ein.

Wir aber heut, Myriaden von neuen Sδngern, wir fallen, / Scharen um Scharen, mein Freund, bald dem Vergessen anheim.

Sόίer als Krδchzen der Dohlen, von dem im Frόhling die Wolken / hallen, ertφnt des Schwans kurzer, bezaubernder Sang. (Beckby)

In den Kommentaren zu Horaz, carmen 2,20 und 3,30, findet man die Nachweise fόr die Beliebtheit des Topos von der Unsterblichkeit des Dichters in seinem Werk (vgl. z. B. Syndikus, I, 480f.). Doch so beliebt es ist, groίe Dichterkollegen derart zu rόhmen, so vergleichsweise selten geht man das Risiko ein, den Topos auf sich selber anzuwenden und dann vielleicht doch nur als Dohle zu enden. Sappho hatte derartiges gewagt und Ennius verfasste fόr sich sogar einen entsprechenden Grabspruch, den Cicero όberliefert (Tusc. 1,15,34 und 1,49,117). Aber wie Horaz seinen Anspruch in carmen 3,30 vortrδgt, ist derart, dass man der Suche nach Vorbildern nicht recht froh wird („Eine so stolze Selbstrόhmung findet sich, soviel ich sehe, bei griechischen Dichtern, soweit uns ihre Texte erhalten sind, nicht [...]."; Pφschl, 248, zu carmen 3,30) oder dass man es fόr notwendig erachtet, den geliebten Dichter ein wenig in Schutz zu nehmen („Der selbstbewuίt vorgetragene Anspruch [...] mag manchen Leser, der den unprδtentiφsen, selbstironischen Horaz liebt, befremden."; Syndikus, I, 489, zu carmen 2,20).

Nun hat man lδngst festgestellt, „dass sich Horaz durch das hellenistische vielfach fiktive Grabepigramm, das bisweilen wohl ebenfalls als Buchschluί diente, hat anregen lassen." (Korzeniewski, 32) So haben die ersten beiden Worte von carmen 3,30 Signalwirkung: „exegi monumentum" klingt fόr den antiken Leser wie eine Variation des in Grabepigrammen όblichen feci, aedificavi, apsolvi monumentum (vgl. Nachweise ibid.; vgl. auch Heinze, 382). Das sich selbst zu Lebzeiten bereitete Denkmal, worauf das „exegi" bei Horaz anspielen dόrfte, ist durchaus όblich (vgl. z. B. CIL I², Nr. 1713; XI 961; A.P. 7, 228. 330. 417-419). Das Pochen auf die eigene Leistung ist in antiken Grabepigrammen gemeinhin akzeptiert. „Die vorurteilhafte Scheu vor dem Selbstlob kannte man da [...] nicht." (Pfohl, 27). So zeigen etwa die Grabinschriften der Scipionen oder die der Claudia (CIL I² 6ff. und 1211) nichts von einem Tabuverbot, die eigenen Verdienste in der 1. P. Sg. vorzufόhren. Dass die Vorfahren und die Heimatgemeinde auf einen stolz sein kφnnen, darf ebenso herausgestellt werden wie die Tatsache, dass man etwas als erster vollbracht hat (vgl. einige Beispiele bei Korzeniewski 33f. und auch A.P. 9,598.600). Wenn ein Kind oder Erwachsener ohne nennbare Verdienste stirbt, ist es sogar mφglich, den Ruhm der Vorfahren „ersatzweise" anzufόhren - eine Mφglichkeit όbrigens, die einem Mann wie Horaz gerade nicht zu Gebote steht (vgl. CIL I², 12; XI, 6334; XIV, 3606). Entsprechende Elogien von Musensφhnen sind jedoch nicht eben hδufig anzutreffen. Man hat aber, neben dem Grabspruch des Ennius, im griechischen Bereich ein Grabepigramm ausfindig machen kφnnen (vgl. Pasquali, 317ff.), das den eigenen Nachruhm reflektiert, wenn die Verfasserschaft des Leonidas von Tarent auch nicht unumstritten ist (A.P. 7,715; vgl.

Beckby II, 607; vgl. auch A.P. 7,326 mit A.P. 7,325 und 16,27):

ΠολλNν ~π\ \Ιταλίης κε¦μαι χθονNς fκ τε Τάραντος

πάτρης· το―το δέ μοι πικρότερον θανάτου.

τοιο―τος πλανίων eβιος βίος· ~λλά με Μο―σαι

fστερξαν, λυγρ΅ν δ\ ~ντM μελιχρNν fχω.

οjνομα δ\ οžκ gμυσε Λεωνίδου· αžτά με δ΅ρα

κηρύσσει Μουσέων πάντας ™π\ šελίους.

Fern von Italien lieg ich und fern von der Erde der Heimat, / von Tarent - das ist bittrer mir noch als der Tod.

Ach, solch schweifendes Leben kann Leben nicht heiίen. Doch liebten / mich die Musen, ein Trost, der mir den Kummer versόίt.

Und des Leonidas Name vergeht nicht; die Gaben der Musen / werden mir Herolde sein bis an das Ende der Zeit." (Beckby)

Die stolze Selbstaussage, nicht nur eine „Dohle" zu sein, ist hier jedoch, vergleicht man etwa Ennius, durch den Verweis auf die schenkenden Musen gleichsam gedδmpft. Welche Rolle die Muse in carmen 3,30 fόr die superbia des Horaz spielt, wird weiter unten zu klδren sein.

Epigrammdichter haben Mittel und Wege gefunden, den Topos ,Unsterblichkeit des Dichters in seinem Werk` noch wirkungsvoller auszugestalten. Man kann z. B. die Wirkung durch eine Kontrastierung mit dem Schicksal gewφhnlicher Denkmδler erhφhen. So versucht etwa Tullius Laureas (oder Laurea), ein Freigelassener Ciceros (vgl. Beckby I, 41; Kl. Pauly s. v. Tullius I. Nr. 15), dem beliebten Nachrufthema „Sappho" neuen Reiz zu geben (A.P. 7, 17):

ΑœολικNν παρJ τύμβον œών, ξένε, μή με θανο―σαν

τJν Μιτυληναίαν fννεπ\ ~οιδοπόλον·

τόνδε γJρ ~νθρώπων fκαμον χέρες, fργα δK φωτ΅ν

™ς ταχινLν fρρει τοιάδε ληθεδόνα.

nν δέ με Μουσάων ™τάσBης χάριν, wν ~φ\ Šκάστης

δαίμονος eνθος ™μB‰ς θ‰κα παρ\ ™ννεάδι,

γνώσεαι, ς \Αίδεω σκότον fκφυγον οžδέ τις fσται

τ‰ς λυρικ‰ς Σαπφο―ς νώνυμος šέλιος.

Gehst du an meinem Grab im aiolischen Lande vorόber, / nenne die Sδngerin, Freund, aus Mytilene nicht tot.

Menschenhδnde erschufen dies Grab und Denkmal, und solche / Werke der Sterblichen fliehn rasch der Vergessenheit zu.

Prόfst du mich aber nach dem, was die gφttlichen Musen mir gφnnten, / die neun Blumen dem Werk meiner neun Bόcher geschenkt,

siehst du, mich traf nicht das Dunkel des Hades: nie kommt eine Stunde, / da man die Lyrikerin Sappho mit Namen nicht nennt. (Beckby)

Das wird noch eindrucksvoller, wenn man die Zeit als allesverschlingenden Widerpart auftreten lδsst (A.P. 7, 225; vgl. 16,334):

Ψήχει καM πέτρην Ž πολOς χρόνος οžδK σιδήρου

φείδεται, ~λλJ μιB‰ πάντ\ λέκει δρεπάνBη·

dς καM Λαέρταο τόδ\ šρίον, b σχεδNν ~κτ@ς

βαιNν eπο, ψυχρ΅ν λείβεται ™ξ ετ΅ν.

οjνομα μLν Sρωος ~εM νέον· οž γJρ ~οιδJς

~μβλύνειν αœών, κnν ™θέλBης, δύναται.

Selbst einen Felsen zernagt die Lδnge der Zeit, sie verschont auch / nicht das Eisen und mδht alles im nδmlichen Schwung.

So auch das Grab des Laertes, das nur noch vom strφmenden Regen / hier, nicht fern vom Gestad, kόhl eine Spende empfδngt.

Ewig frisch aber bleibt der Name des Heros: nie breitet, / ob sie auch wollte, die Zeit Nacht όber Dichters Gesang. (Beckby)

Der Dichter - wahrscheinlich Antiphilos von Byzanz, einer der bekannteren Epigrammspezialisten der Zeit des Augustus (vgl. Beckby I, 42 und II 583; vgl. Kl. Pauly s. v. Antiphilos 2.) - hat sich mφglicherweise ebenso wie Horaz von Formulierungen bei Simonides und Pindar (vgl. die Nachweise zuletzt bei Syndikus II, 276) inspirieren lassen. Sein ~εM νέον (vgl. auch A.P. 9,522) ist dabei offensichtlich ebenso wie das usque ego postera crescam laude recens, dum ... des Horaz ein Versuch, die όbliche Formulierung zu variieren. Das allzu abstrakte ~εM hat Horaz durch einen konkreten Temporalsatz vermieden, ein Kunstgriff, den man etwa auch bei Theognis, Kriton (vgl. die Nachweise bei Syndikus, II, 277) und Vergil (Aen. 1,607-609 und 9,446ff.; vgl. Korzeniewski 33) finden kann (zur Formulierung des Horaz vgl. vor allem Fraenkel, 358f.).

Das Werk des Musensohnes lδsst sich natόrlich nicht nur bezόglich der Dauerhaftigkeit, sondern auch der Beweglichkeit (Pindar, N. 5,1ff.; vgl. Syndikus, II, 276, Anm. 24), der Schφnheit (Isokrates Antid. 7; vgl. Pφschl, 248f.), schlieίlich der Grφίe den Denkmδlern aus Stein oder Erz entgegenstellen. Der Bezug auf die Grφίe ist in hellenistischen Epigrammen besonders beliebt (vgl. etwa A.P. 7,84 (fόr Thales); 7,240 (fόr Alexander den Groίen); 7,136 (fόr Priamos); 7,137 (fόr Hektor); 7,45-47 (fόr Euripides)). Der Epigrammdichter macht sich dabei gleichsam auf die Suche nach einem Denkmal von angemessener Grφίe, um den Prominenten zu ehren. Zu Recht erinnert Korzeniewski bei seiner Behandlung von carmen 3,30 auch an den „hellenistischen Architekturgeschmack": „Man braucht nur an die hochgezogenen zylindrischen Grabtόrme zu erinnern, das Grab der Caecilia Metella an der Via Appia (67 v. Chr.) und das der Gens Plautia am Ponte Lucano bei Tivoli (frόhe Kaiserzeit)." (Korzeniewski, 31; vgl. weitere Beispiele ibid., Anm.1).

Tullius Geminus, ein epigrammbegeisterter Rφmer (consul suffectus 64 n. Chr.; vgl. Kl. Pauly s. v. Tullius II. 2.), zieht bei der Verwendung dieses Topos gewissermaίen das letzte rhetorisch- theatralische Register, wenn er den toten Prominenten sich hφchstpersφnlich (in einer sermocinatio, fictio personae, προσωποποιΐα oder auch εœδωλοποιΐα , vgl. Lausberg, §§ 820-826) beschweren lδsst (A.P. 7,73):

\ΑντM τάφου λιτο¦ο θKς ^Ελλάδα, θKς δ\ ™πM ταύταν

δούρατα βαρβαρικ@ς σύμβολα ναυφθορίας

καM τύμβCω κρηπ¦δα περίγραφε ΠερσικNν GΑρη

καM Ξέρξην· τούτοις θάπτε Θεμιστοκλέα.

στάλα δ\ ^ ΣαλαμMς ™πικείσεται fργα λέγουσα

τ~μά. τί με σμικρο¦ς τNν μέγαν ™ντίθετε;

Statt dieses klδglichen Grabs nimm Hellas! Wirf Kiele als Sinnbild / fόr die Vernichtung der Macht persischer Schiffe darauf!

Mach zum Sockel der Gruft den barbarischen Heersturm und Xerxes! / Dann erhδltst du das Grab, wie es Themistokles ziemt.

Salamis tόrme als Denkstein, der soll meine Taten berichten! / Sagt, warum macht ihr das Grab fόr meine Grφίe so klein? (Beckby)

Wenn also Horaz betont, sein Dichterwerk gebe ein grφίeres monumentum ab als die Pyramiden, so ist das fόr den antiken Leser jedenfalls nicht abwegig oder schlechthin anstφίig. Eher wird er sich gefragt haben, ob die Nachwelt einen solchen Anspruch bestδtigen werde. Vielleicht wird er auch die kόhne Selbstaussage bewundert haben, mit der der stolze Dichter ein Risiko auf sich nimmt, das angesichts der Pyramiden nicht gerade gering ist, zumal wenn man folgendes Epigramm hinzunimmt, dessen letzte Zeile an carmen 1,1,36 erinnert (A.P. 9,710; Verfasser unbekannt):

GΟσσαν ™π\ ΟžλύμπCω καM Πήλιον ψωθέντα

ψευδLς στορίης ½‰σις ~νεπλάσατο·

Πυραμίδες δ\ fτι ν―ν Νειλωίδες eκρα μέτωπα

κύρουσιν χρυσέοις ~στράσι Πληιάδων.

Dass man den Ossa dereinst und den Pelion auf den Olympos / tόrmend gestόlpt hat, ist Schwatz, den eine Sage erzδhlt.

Die Pyramiden jedoch am Nil recken heut noch die Spitzen / bis zu des Siebengestirns goldenen Sternen empor. (Beckby)

Vergleicht man also carmen 3,30 mit der Formensprache antiker Grabepigramme, so verliert das Gedicht erheblich von dem Geruch des Auίerordentlichen, den es fόr einen modernen Leser haben mag, fόr den Selbstlob einer Tabuverletzung gleichkommt.

Mit diesem Fazit werden allerdings die zweieinhalb Schlusszeilen des Gedichtes samt den Problemen, die sie aufwerfen, unterschlagen. Ihr Gehalt lδsst sich nicht einfach mit Aussagen in Grabepigrammen parallelisieren (gegen Korzeniewski, 34). Zwar ist die Anrede an eine Person als dialogisches Element seit dem 5. Jh. v. Chr. in Grabepigrammen nachweisbar (vgl. Beckby, I,16). Auch findet sich in Grabepigrammen immer wieder der Bericht όber die verdienstvollen Taten und die Beschreibung der Art des Nachruhmes mit einer Schlussbitte vereint, die sich an die Vorbeigehenden richtet (zwei derartige Beispiele bei Korzeniewski, 34). Doch nach einem Gebetsanruf als Schlussbitte (vgl. das Signalwort „volens" und die Parallelen dazu bei Syndikus, II, 280, Anm. 52), der dem des Horaz vergleichbar wδre, schaut man sich im Bereich der Grabepigramme weitgehend vergeblich um (christliche Grabepigramme, wie A.P. 15,29, bleiben auίer Betracht), mag A.P. 7,36 immerhin auch als eine Reihe guter Wόnsche fόr Sophokles formuliert sein, deren letzter lautet: „dass [...] ewig ein Kranz grόn dir die Locken umsδumt" (verfasst von Erykios von Kyzikos, um 40 v. Chr.; vgl. Beckby IV, 758).

Die Nδhe der vorangehenden dreizehneinhalb Zeilen zum Grabepigramm lieί Heinze carmen 3,30 als „gleichsam eine Aufschrift fόr das monumentum" des Dichters deuten. Doch die Rede von einem „monologisch empfundenen, durch die Anrede an die Muse nur scheinbar darόber hinausgehobenen" Gedicht (Heinze, 382), lδsst Fragen offen. Numberger geht noch einen Schritt weiter: „Die Ode ist δuίerlich der Melpomene (v.16) gewidmet" (Numberger, 317). Die Rede von „scheinbar" und „δuίerlich" verrδt das kaum bewδltigte Problem: Ist carmen 3,30 ein selbstbewusster Monolog, dem am Ende in einer Art Apostrophe eine Musenanrede angehδngt ist, oder hat die Musenanrede grφίeres Gewicht? Man mag mit Kroll so manche Anrede bzw. Widmung im Bereich der Oden des Horaz fόr eher konventionell und ohne Schaden fόr das Gedichtganze austauschbar halten, ja fόr „eine unorganische Zutat, die ebensogut wegbleiben kφnnte" (Kroll, 232), die nur dazu da ist, „das Gedicht konkreter und persφnlicher zu machen" (ibid.). Vor der Anwendung einer solchen Erklδrung warnt im Falle von carmen 3,30 jedoch bereits, dass Horaz in seiner Schlussbitte eine - zumindest im rφmischen Kontext - „όberraschende Erfindung" (Heinze, 385) in Gestalt des poeta laureatus prδsentiert, die noch dazu am Ende des ganzen Gedichtbuches zu stehen kommt. So hat sich Fraenkel ausdrόcklich dagegen verwahrt, die „Schluίbitte" in carmen 3,30 als „bloίe poetische Konvention" misszuverstehen. Horaz habe empfunden, „daί die Inspiration, die ihn groίe Dichtung schreiben lieί, nicht mit Wendungen von gewφhnlichen menschlichen Fertigkeiten erklδrt werden konnte; er war όberzeugt, sie komme vom Himmel" (Fraenkel, 362). Aber wie δuίert sich diese άberzeugung in carmen 3,30?

Das Gedicht hat gerade dadurch Anstoί erregen kφnnen, dass hier das Pochen auf die eigene Leistung den Geschenkcharakter όberspiele: Die Aufforderung des Dichters an die Muse, „den Stolz, den ihm der Ruhm seiner Gedichte gewδhrt, sich anzueignen, ist ein so seltsamer Gedanke, wie nur mφglich" (Mueller, 340f). Mueller zitiert carmen 1,26,9 „nil sine te mei prosunt honores", um zu zeigen, wie Horaz sonst sein Verhδltnis zur Muse beschreibt: Horaz sehe sich dort ganz auf die Muse angewiesen. Auch das spδtere carmen 4,3 hδtte Mueller heranziehen kφnnen, wo man liest: „totum muneris hoc tui est" (v. 21; vgl. auch carmen 4,6,29f.). So erscheint die Aufforderung an die Muse, die „superbia" anzunehmen, „als die grφsste Anmassung. Man erwartet also vielmehr einen Ausdruck wie: zόrne meinem durch Verdienste erworbenen Stolze nicht, und davon wird die Emendation auszugehen haben" (Mueller, 341). Es gibt jedoch einen deutlichen Unterschied zwischen der Art der Ansprache an die Gottheit in carmen 1,26 (vgl. auch 4,3 und 4,6) und in carmen 3,30. Fόr den Kontext von carmen 1,26 stellt Syndikus fest: „Hymnisch sind der feiernde Relativsatz in Vers 6f. und die Anrede mit dem preisenden Attribut in Vers 9" (Syndikus, I, 255). Entsprechendes gilt auch von carmen 4,3 und 4,6 (vgl. Syndikus, II, 313 und 347). Carmen 3,30 ist jedoch nicht den Formgesetzen des Hymnus verpflichtet. Was im Hymnus anmaίend klδnge, kann in einem anderen genus, das andere Aspekte wahrgenommener Wirklichkeit zur Sprache bringt, akzeptiert sein.

Auf jeden Fall ist es Horaz mφglich, einerseits zu bekennen „totum muneris hoc tui est", (carmen 4,3,21), und andererseits (zumal im Gegensatz zum Gelegenheitsdichterling) die in Schweiί und Mόhen entstandene Leistung des Dichters herauszustellen (vgl. epist. II,1,93ff. 161ff. 221ff.; 2,65ff.; 3 passim). Ob und wie beide Aspekte in carmen 3,30 prδsent sind, ist durchaus umstritten. Symptomatisch dafόr ist die Unsicherheit bei der Deutung der merita in Zeile 15: Ist die Leistung des Horaz oder der Gnadenerweis der Muse (meritum im Sinne von beneficium, wie etwa bei Cicero, Catil. 3,15; vgl. dazu ThLL s. v. ,meritum`, Bd. VIII, Sp. 815) gemeint? In einem Grabepigramm mag man zuerst „meritis meis" zu verstehen geneigt sein, doch das oben zitierte Epigramm A.P. 7,715 weist wiederum in die andere Richtung.

Aber wie hat man nun die Aufforderung sume superbiam quaesitam meritis in carmen 3,30 zu verstehen, wenn sie sich vom Grabepigramm her nicht begreifen lδsst? Hier kφnnte nun ein Blick auf die Formensprache antiker Weihepigramme weiterhelfen. άblicherweise wird die Weihung als vollzogen protokolliert, z. B. in A.P. 7,53, das den sagenhaften Dichteragon zum Thema hat:

^Ησίοδος Μούσαις ^Ελικωνίσι τόνδ\ ~νέθηκα

VμνCω νικήσας ™ν Χαλκίδι θε¦ον DΟμηρον.


Ich, der Hesiodos, weihte hier diesen [Dreifuί] des Helikons Musen, / als ich im Singen zu Chalkis den hehren Homeros besiegte. (Beckby)

Doch es gibt im Bereich der Buchepigramme daneben andere Aussageformen. So kann die Weihung auch nur durch eine Aufforderung oder Bitte um Annahme (z. B. δέξο oder δέχνυσο angesprochen werden (vgl. A.P. 6,12. 19. 23. 40. 55. 77f. 178. 190f. 225. 243. 253. 274. 286. 300. 334), von weiteren mφglichen Variationen des Ausdrucks ganz zu schweigen, die sich der Freiheit hellenistischer Dichter gegenόber traditionellen Mustern verdankt. In dieser Hinsicht wδre es also mφglich, das sume superbiam quaesitam meritis in carmen 3,30 auf einen Weiheakt zu beziehen.

Was Mueller in carmen 3,30 als anmaίend empfand, lieίe sich so im Kontext eines auch sonst belegbaren Dichterbrauchs verstehen, den vielleicht Hesiod als erster όbte (vgl. Erga vv. 654-59). Mit welcher Intention eine solche Weihe erfolgen kann, spiegelt etwa das folgende Epigramm (A.P. 6,338; Verfasser: Theokrit von Syrakus):

^Υμ¦ν το―το, θεαί, κεχαρισμένον eνθετο πάσαις

τkγαλμα Χενοκλ‰ς, το―το τN μαρμάρινον,

μουσικός· οžχ Šτέρως τις ™ρε¦. σοφίAα δ\ ™πM τA@δε

αuνον fχων Μουσέων οžκ ™πιλανθάνεται.

Euch, ihr gφttlichen Neun, euch allen hat Xenokles heute

dieses marmorne Werk dankbaren Herzens geweiht,

er, der Musen Genoί. Das bestreitet ihm keiner. Und weil ihm / Ruhm dieses Kφnnen gebracht, denkt auch der Musen er selbst. (Beckby)

In dieser Weise thematisieren die Epigramme immer wieder die άbereignung der im musischen Agon errungenen Preise oder darauf Bezug nehmender Votivgaben (vgl. A.P. 6,213. 339; 7,53), ganzer Kunstwerke (z. B. eine Statue; A.P. 6,260) oder auch der verwendeten Instrumente (z. B. ein Barbiton; A.P. 5,201). Dabei wird weder die Tatsache der Begnadung noch die menschliche Leistung όberspielt: der Musensohn, im Genuss der Frόchte seines Kφnnens, gedenkt der Musen, die ihn zu seinem Kφnnen verhalfen. Die Pioniertat des Horaz (princeps Aeolium carmen ad Italos deduxisse modos) wδre in diesem Kontext etwas, das nicht nur das groίe Kφnnen des Dichters dokumentiert, sondern auch als eine groίe Begnadung erscheint. Das Letztere kann sich in einer άbereignung an die Muse artikulieren: nimm (meinen) Stolz, weil ich (ihn) durch dein Verdienst erlangt habe! (meritis kφnnte prinzipiell auch auf das Prδdikat bezogen werden: nimm verdientermaίen; vgl. das in Weihepigrammen anzutreffende merito, z. B. CIL I² 972; vgl. auch Heinze, 382).

Doch wie steht es mit der bei Horaz unmittelbar folgenden Bitte um den Lorbeerkranz? Syndikus will die Bitte des Horaz weniger als die Kundgabe einer Begnadung (vgl. Lucr. 1,930 und Properz 3,1,19f.) verstehen, sondern eher als Anerkennung dafόr, dass Horaz „sich wahrhaft als Dichter ausgewiesen hat, daί er den Dichternamen im hφchsten Sinne verdient." (Syndikus, II, 281) Im Hintergrund stehe letztlich der Ehrenkranz der Pythischen Spiele (vgl. ibid.). Allerdings lδsst sich auch um einen solchen Ehrenkranz wie um eine besondere Gunst bitten (A.P. 6, 313; Bakchylides an Nike):

Κούρα Πάλλαντος πολυώνυμε, πότνια Νίκα,

πρόφρων Κρανναίων μερόεντα χορNν

αœKν ™ποπτεύοις, πολέας δ\ ™ν ~θύρμασι Μουσ@ν

ΚηίCω ~μφιτίθει ΒακχυλίδBη στεφάνους.

Schau, du Tochter des Pallas, vielnamige, gφttliche Nike, / auf des kranδischen Volks liebliche Chφre voll Huld

immer hernieder und schlinge dem Keer Bakchylides vielmals / bei dem musischen Spiel Krδnze des Sieges ins Haar. (Beckby)

Eine solche Bitte kann sich im Kontext des Weihepigramms sogar einem do ut des nδhern (A.P. 6,279; Verfasser: Euphorion; 3. Jh. v. Chr.):

Πρώτας Žππότ\ fπεξε καλJς Εjδοξος ™θείρας,

ΦοίβCω παιδείην kπασεν ~γλαΐην.

~ντM δέ ο πλοκαμ¦δος, ^Εκηβόλε, κάλλος ™πείη

χαρν‰θεν ~εM κισσNς ~εξόμενος.

Als Eudoxos sein herrliches Haar sich erstmals geschoren, / weihte er Phoibos die Pracht, die seine Kindheit geschmόckt.

Gib ihm anstelle der Locken, Ferntreffer, als Zierde den Efeu, / der seit ewiger Zeit stets in Acharnai ergrόnt. (Beckby)

Eine zum Weiheakt selbst hinzukommende Bitte an eine Gottheit ist, zumindest im Buchepigramm, όberhaupt recht beliebt (vgl. A.P. 6,16. 34. 63. 68. 89. 91. 102. 106. 155 usw.), sei sie nun konkreter oder ganz allgemein auf das eigene Wohlergehen bezogen (vgl. z. B. A.P. 6,158 [Mehrung der Herde, der Quelle, des Weines]; 6,189 [Schutz im allgemeinsten Sinne]; 6,137. 138. 280. 346 [Gnade]; 6, 202. 269 [Ruhm]). Es ist ja ganz menschlich, sich durch ein Geben zu einer Gegenbitte berechtigt zu fόhlen, indem man gleichsam das Eisen schmiedet, solange es noch heiί ist (A.P. 6,13. 17. 42. 75. 80. 99. 105. 118. 154. 182. 187; ausdrόckliches do ut des etwa in CIL I² 364; Gelόbde werden nur zuweilen erwδhnt, z. B. A.P. 6,41. 146f. 157. 231. 242. 301; vgl. auch CIL I² 972; XIII 6474).

Auch in der folgenden Schlussbitte um einen (weiteren) Siegeskranz ist nicht der Leistungsaspekt, sondern der Gnadenaspekt (mehr oder weniger mit einem do ut des verbunden) thematisch. Das Epigramm stammt nach Beckby vermutlich von einem rφmischen Zeitgenossen des Horaz, Marcus Argentarius (vgl. Beckby, I,41 und 694; IV, 756). Es bewegt sich ganz in der gδngigen Formensprache des Weihepigramms, wie man sie in der Anthologia Graeca zu Hunderten finden kann, jedoch rhetorisch angereichert durch eine fκφρασις (vgl. Lausberg §§ 810. 1133) der Weihegegenstδnde (A.P. 6, 246):

Κέντρα διωξικέλευθα φιλορρώθωνά τε κημNν

τόν τε περM στέρνοις κόσμον δοντοφόρον

καM ψήκτρην Tππων ™ρυσίτριχα τήν τ\ ™πM νώτων

μάστιγα ½οίζου μητέρα θαρσαλέην

κοœσυΐνην τLν ½άβδον ™πM προθύροισι, Πόσειδον,

~νθετό σοι νίκης Χάρμος ~π\ \Ισθμιάδος.

~λλJ σύ, Κυανοχα¦τα, δέχευ τάδε, τNν δK Λυκίνου

υuα καM εœς μεγάλην στέψον \Ολυμπιάδα.

Schrittefφrdernde Stacheln, der nόsternliebende Maulkorb, / zδhnetragender Schmuck, Pferden die Zierde der Brust,

dieser Striegel zum Strδhlen des Fells, eine Peitsche, die kecken / Knall gebδrend dem Pferd όber den Rόcken sich stόrzt,

und diese weidene Gerte: das ist es, Poseidon, was Charmos / dir im Vorflur geweiht, da er am Isthmos gesiegt.

Du aber, Dunkelgelockter, o nimm es und setz auch zur groίen / Olympiade Lykins Sohne den Kranz auf das Haupt. (Beckby)

Hier wird die gφttliche Gunst fόr die Siege verantwortlich gemacht - in einer Gebetsbitte verstδndlich. Damit soll jedoch die Notwendigkeit der Anspannung aller Krδfte seitens des Menschen sicherlich nicht geleugnet werden.

Jedenfalls lδsst sich in den Bitten um den Siegeskranz, wie sie sich im Bereich der Epigrammkunst finden, ein Vorherrschen des Leistungsaspektes nicht entnehmen. Der Gnadencharakter steht durchaus im Vordergrund. Und dies dόrfte auch im Falle von carmen 3,30 so sein, falls es denn richtig ist, die Schlusszeilen dieses Gedichtes nach Formensprache und Gehalt zu den Weihepigrammen in Beziehung zu setzen. Auch das von Horaz verwendete volens wδre dann mehr als bloίe Konvention oder gewahrte Etiquette.

Die vorliegende Untersuchung hat carmen 3,30 vorwiegend anhand der Frage nach erkennbaren Vorbildern behandelt. Unter diesem Blickwinkel erscheint das Dichterwerk weitgehend als Kombination bereitliegender Formelemente, ohne dass die Leistung des Dichters dadurch geschmδlert wόrde: „Jede reife Kunst hat eine Fόlle Convention zur Grundlage: insofern sie Sprache ist. Die Convention ist die Bedingung der groίen Kunst, nicht deren Verhinderung [...]." (Nietzsche, 297).

Es wδre allerdings verfehlt, carmen 3,30 nun entsprechend auch einer traditionellen Gattung um jeden Preis zuordnen zu wollen. Horaz hat jenen Abstand zur literarischen Tradition, der fόr einen bedeutenden Teil der hellenistischen Dichtung typisch ist. Dieser Abstand kann sich verschieden auswirken: Traditionelle Muster fristen bei den bloίen Nachahmern nur noch „ein Scheindasein" (Kroll, 202) im Bemόhen um immer neue Variation des Altbekannten. Zugleich bemδchtigt sich aber die Experimentierlust der alten Formen und Stoffe, die neue Effekte zu erreichen sucht. Daneben findet sich aber auch die eindringliche Suche nach Formen, in denen Aspekte wahrgenommener Wirklichkeit zur Sprache gebracht werden kφnnen, und die gerade darum die traditionellen Formen nicht verachtet, sondern auf ihren Wert fόr die eigene Gegenwart sorgfδltig prόft - etwa so, wie es Walter Jens όber Lessing gesagt hat: Dem ginge es nicht einfach „um Bewahrung des Gestern, sondern um jene Rettung des Heute, die den Anverwandler keinen Imitator, sondern einen Kόnstler gleichen Ranges sein lieί [...]." (Jens, 247)


Die Freiheit gegenόber der Tradition zeigt sich nun u. a. in dem, was etwa Kroll als „Kreuzung der Gattungen" behandelt hat (ibid.). Ein Beispiel ist Horaz' carmen 3,22, „ein Mittelding zwischen Weihepigramm und Hymnos" (Kroll, 209; vgl. Fraenkel, 239). Δhnlich steht es mit carmen 3,13 (vgl. Fraenkel, 240f.) und dann auch, wenn die oben gegebene Deutung richtig ist, mit carmen 3,30, bei dem Grab- und Weihepigramm Pate gestanden haben.

Anders als viele der Epigramme, die in der Anthologia Graeca versammelt sind, ist carmen 3,30 kein unverbindliches Spiel, kein Experiment, das beweisen soll, was sich alles aus traditionellen Formen machen lδsst. (Oben war Gelegenheit, auch einige Beispiele rφmischer Zeitgenossen des Horaz zu zitieren. Angesichts solcher griechischsprachiger (!) Epigramme lδsst sich die Leistung des Horaz noch um einiges besser ermessen.) Vielmehr verlangt die Odensammlung I-III als geschlossenes Werk offensichtlich nach einem Epilog mit Aussagen, wie sie eben traditionellerweise im Grabepigramm einerseits, andererseits aber im Weihepigramm gemacht zu werden pflegen: der Hinweis an die Mit- und Nachwelt auf eine wie auch immer besondere und individuelle Lebensleistung einerseits, andererseits der Ausdruck fόr die Gewissheit des Dichters, in all' dem von einer gφttlichen Macht begόnstigt worden zu sein. In diesem Epilog zeigt sich Horaz einmal mehr als „Anverwandler" (Jens), und zugleich feiert dieses Gedicht eine groίe Anverwandlung, die Horaz gelungen ist, auf ganz eigene Weise. Das zeigt sich zumal dann, wenn man sein Gedicht mit anderen, zum Teil zeitgenφssischen Gedichten vergleicht, wie es hier versucht worden ist.

Fόr die Ermunterung zur Verφffentlichung und wichtige Hinweise danke ich vor allem Gerhard Perl.

 

Bibliographie

Anthologia Graeca, Griechisch - Deutsch, ed. H. Beckby, 2. verb. Aufl., Mόnchen o. J. (1. Aufl. 1957/58) [Aussagen des Herausgebers zitiert als: Beckby I, II, III, IV; die Texte als: A.P. mit Buch und Epigrammnummer].

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A. Kiessling / R. Heinze / E. Burck, Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden, 12. Aufl., Dublin/Zόrich 1966.

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H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, Mόnchen ²1973.

L. Mueller, Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden, II. Theil: Commentar, St. Petersburg/Leipzig 1900.

F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, G. Colli u.a. (Hg.), Bd. 13, Berlin u.a. 1969.

K. Numberger, Horaz. Lehrer-Kommentar zu den lyrischen Gedichten, Mόnster 1972.

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V. Pφschl, Horazische Lyrik. Interpretationen, Heidelberg 1970.

H. P. Syndikus, Die Lyrik des Horaz, Bd. I, 2. Aufl., Darmstadt 1989.

Ders., Die Lyrik des Horaz, Bd. II, Darmstadt 1973.

antikinitiale2.jpg (4138 Byte)  Reinhard Gruhl, Berlin