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Zum offiziellen Bericht über den DAV-Kongress ´98 in Heidelberg

 

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antikinitiale.gif (4181 Byte)  Thomas Brückner / Günther

     Scheda

Zur Lage des altsprachlichen Unterrichts in der Bundesrepublik Deutschland

antikinitiale.gif (4181 Byte)   Eberhard  Kaus: 

J. A. Comenius, Fr. Spee und die Europäische Kommission

antikinitiale.gif (4181 Byte)   Bernhard Kytzler / Niko Eberl:  

Unser tägliches Griechisch

antikinitiale.gif (4181 Byte)   Franz Strunz: 

Hypatia in der schönen Literatur: Fritz Mauthners Hypatia

 

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Thomas Brückner / Günther Scheda

Zur Lage des altsprachlichen Unterrichts in der Bundesrepublik Deutschland

Bericht vor der Vertreterversammlung in Heidelberg am 14. 4. 1998


1. Die Vorsitzenden der Landesverbände


antikinitiale.gif (4181 Byte) Die im Forum Classicum 1/97 (letzte Seite) abgedruckte Liste ist nur in zwei Fällen zu ändern: Berlin und Brandenburg: StD Dr. Josef Rabl, Kühler Weg 6a, 14055 Berlin, Tel. 030-3019897. Hamburg: Dieter Belde, Runder Berg 23a, 21502 Geesthacht, Tel. 04152-83143.

Die Namen der Stellvertreter und weiterer Vorstandsmitglieder liegen den Unterzeichnern vor und können dort abgefragt werden.

2. Schüler

Während die Position des Lateinischen als zweiter Fremdsprache insgesamt gehalten wurde (in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz ca. 25 %, in Niedersachsen ca. 35 %, in Bayern, Nordrhein-Westfalen ca. 47 %), meldet die Mehrheit der Bundesländer wiederum einen leichten Rückgang bei Latein ab Klasse 5 (z.B. Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen). Ein Vergleich der Zahlen der frühen Lateinbeginner von 1987 in Nordrhein-Westfalen mit denen von 1997 (9,6 % gegen 4,5 %) ist aufschlussreich und dürfte repräsentativ sein für viele Bundesländer. Gegenüber diesem Abwärtstrend, der freilich nirgendwo exponentiell, sondern „nur" linear verläuft, bleiben die Zahlen stabil in Regionen bzw. Ländern mit einem starken Anteil an Schulen in privater Trägerschaft:
So beginnen in Baden-Württemberg 13% (11,3%) der Fünftklässler an Privatschulen mit Latein, während an staatlichen Gymnasien es lediglich 5,4 % sind. Auch aus zwei neuen Bundesländern wird diese unterschiedliche Entwicklung berichtet: In Thüringen lernen 85 Schüler Latein ab Klasse 5 an Privatschulen gegenüber 21 Schülern an einem staatlichen Gymnasium. In Sachsen-Anhalt hat sich die Situation für Latein ab Klasse 5 durch die Einführung der Förderstufe extrem verschlechtert: Ein
Lateinunterricht vor der Klasse 7 ist nur noch an drei Privatschulen möglich.

Die Berichterstatter erklären diese rückläufige Tendenz (die sich natürlich stark auf die Wahl des Griechischen ab Klasse 9 auswirkt) mit den bekannten Akzeptanzproblemen. Aber organisatorische Gründe kommen hinzu. Unter dem Diktat der leeren Kassen haben einige Länder sog. Mindestgruppengrößen festgelegt. Wenn z. B. in Nordrhein-Westfalen an einer Schule 105
Anmeldungen für die Sexta vorliegen (davon 25 für Latein als erste Fremdsprache), kommt kein Lateinkurs zustande und es werden drei Englischklassen eingerichtet. Das Land Baden-Württemberg ist demgegenüber großzügig: Die Mindestzahl beträgt dort für Latein I und Latein II 16 Schüler.

Zum Griechischen: Unter einem ,Damoklesschwert` stehend, haben viele traditionsreiche Schulen durch massive Werbemaßnahmen die Zahl der Griechischwähler halten, ja sogar erhöhen können; an anderen Gymnasien mit weniger günstigen Rahmenbedingungen (soziale Brennpunkte, Konkurrenzsituation, Altersstruktur der Griechischlehrer) konnten Griechischkurse in 9 nicht mehr eingerichet werden.

In der Oberstufe verstärkt sich die Tendenz, die zweite bzw. dritte Fremdsprache bei Erreichen der Abschlussqualifikation (Latinum / Graecum) abzuwählen. Das Ende der Stufe 11 oder 12 ist in sehr vielen Fällen auch das Ende der Beschäftigung mit der zweiten (oder dritten) Fremdsprache. Dieses Desinteresse hat bisher überwiegend das Französische getroffen. Jetzt ist diese Entwicklung auch bei Latein II (und Latein III) zu beobachten. Auch der Mangel an Lateinlehrern kann der Grund dafür
sein, dass in einem Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, die Zahl der Grundkurse in 13 gegenüber 12 um einhundert reduziert wurde. Offensichtlich war man erfolgreich bemüht, durch eine angebliche Beratung der Schüler, in Wirklichkeit durch geschickte Einflussnahme, bestimmte Kurse zu streichen und somit an die in der Sekundarstufe I fehlenden Lateinlehrer zu kommen.

3. Lehrer

Unsere Frage nach der Zahl der Pensionierungen wird in den Berichten aus den neuen Bun
desländern in der Regel exakt beantwortet. Es handelt sich dort ja nur um wenige Fälle. Anders ist die Situation in den alten Bundesländern. Möglicherweise werden genaue Daten über die von Jahr zu Jahr steigende Pensionierung von Altphilologen von den Kultusverwaltungen bewusst zurückgehalten, um das Missverhältnis zwischen dem Ausscheiden von Altsprachlern und der
Einstellung junger Kollegen zu kaschieren. Bekanntlich haben einige Bundesländer die Wochenarbeitszeit sowie die Pensionsgrenze heraufgesetzt. Dadurch kann man zwar die öffentlichen Kassen entlasten und das Unterrichtsangebot sichern, aber entsprechend viele junge Lehrer bleiben arbeitslos.

Mehreren Berichterstattern ist es nicht gelungen zu ermitteln, wieviele Lehrer eine Anstellung gefunden haben. Bei der Durchsicht der zugesandten Informationen gewinnt man kein einheitliches Bild. Die Einstellungssituation ist zu unterschiedlich. Neben Ländern ohne irgendwelche Neueinstellungen (z. B. Bremen und Berlin) steht Bayern mit „recht zufriedenstellenden" (Vorjahr: „recht günstigen") Chancen gut da. Auch in den neuen Bundesländern sind die Berufsaussichten günstig, zumal von dort viele Altsprachler in den Westen zurückkehren. Als Grund wird unter anderem das höhere Gehalt genannt. - Exakte Angaben liegen aus Baden-Württemberg (35 Neueinstellungen Latein [zugleich 10% aller Neueinstellungen] und 6 für Griechisch) sowie aus Hessen vor: Hier sind es 10 Neueinstellungen (davon ein Griechischlehrer) bei einer Warteliste von 200 Bewerbern. - Vermutlich gibt es solche Wartelisten auch in anderen Bundesländern.

Zu den Referendaren: Auch hier lässt sich kein einheitliches Bild gewinnen. Während die Ausbildungskapazität in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein in etwa den Einstellungsmöglichkeiten entspricht, gibt es Länder mit einer überproportional hohen Referendarausbildung, z. B. Nordrhein-Westfalen: 200 in 95/96, 240 in 96/97; im laufenden Schuljahr ist die Zahl so gestiegen, dass nicht nur neue Fachleiterstellen, sondern ganze Seminare geschaffen oder reaktiviert werden müssen.


4. Schul- und Bildungspolitik

Hinsichtlich der Dauer der Schulzeit (12 oder 13 Jahre) gab es keine neuen Entscheidungen. Die Länder bleiben bei ihren unterschiedlichen Festlegungen. Lediglich Rheinland-Pfalz scheint einen neuen Weg gehen zu wollen: Damit die Abiturienten ihr Studium bereits zum Sommersemester aufnehmen können, soll der Unterricht in 13 bereits im April enden; das 11. Schuljahr würde dann um einige Monate gekürzt werden. - Weshalb man den so gekappten 11. Jahrgang wieder in das
Kollegstufensystem integrieren möchte, ist nicht recht verständlich. Andere Pläne hat das Land Nordrhein-Westfalen: Es wird zum Schuljahr 1999/2000 den Unterricht im Klassenverband um ein halbes Jahr verlängern und die Möglichkeiten, in 11.2 Fächer hinzuzuwählen, stark einschränken. Diese Änderung bringt dem Lateinischen als zweite Fremdsprache einen großen Vorteil, da sein Unterricht erst mit der Versetzung in Stufe 12 endet.

In mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen) gibt es konkrete Pläne, in der Oberstufe des Gymnasiums neue Fächer zu etablieren: Gemeinsames Ziel dieser Reformen ist es, einen themen-, fächerübergreifenden und an Projekten orientierten Unterricht anzubieten. Unklar bleibt, auf Kosten welcher Fächer diese Änderungen durchgeführt werden sollen. Die Gefahr besteht, dass auch die alten Sprachen Teile ihres Stundenvolumens hergeben müssen und es so noch schwieriger sein wird, die von uns gesetzten Bildungsziele zu erreichen.

5. Probleme des Unterrichts

Die Schwierigkeiten für einen erfolgreichen Lateinunterricht sind dieselben geblieben und haben sich leider in der Berichtszeit verstärkt: große Klassen und Kurse in der Mittelstufe; Zunahme sozialer Probleme (Erziehungsdefizite, Verrohung durch Medienkonsum); Rückgang des sprachlichen und historischen Grundwissens; der Lateinlehrer als Einzelkämpfer an seiner Schule (oft sogar an zwei Schulen); Missverhältnis zwischen öffentlichen Deklarationen („Kultur der Anstrengung") und der
Schulwirklichkeit.

6. Unterrichtsangebote

In einer Reihe von Bundesländern verstärkt sich die Gefährdung des frühen Lateinbeginns durch Englischunterricht in der Grundschule (z. B. Bremen, Hamburg, Niedersachsen). In Berlin soll der sog. vorfachliche Fremdsprachenunterricht im Schuljahr 1998/99 mit 2 Stunden ab Klasse 3 auf freiwilliger Basis beginnen und in absehbarer Zeit landesweit eingeführt werden (neben Englisch auch Französisch und Russisch).

In den neuen Bundesländern hat sich Latein als zweite Fremdsprache insgesamt gut etabliert. Sofern es dritte Fremdsprache ist, teilt es mit den alten Bundesländern mehr oder weniger ausgeprägt die Schwierigkeiten, die sich etwa aus dem Wahlverhalten der Schüler, aus vorhandenem Lehrermangel oder der ministeriell vorgegebenen Mindestgruppenzahl ergeben können. Wohl stellvertretend für andere beklagen die Berichterstatter für das Saarland und Sachsen den durch andere Fremdsprachenangebote in den Stufen 9 und 11 verstärkten Konkurrenzdruck für Latein III und IV.
Für die Situation des Griechischen vergleiche die Ausführungen unter 2.

7. Wettbewerbe

Wettbewerbe für beide Sekundarstufen auf Landesebene werden in erfreulich vielen Bundesländern weiterhin durchgeführt, in Mecklenburg-Vorpommern das Certamen Balticum (Sek. II) erstmals im laufenden Schuljahr 97/98. Es scheint für Wettbewerbe von Schüler- und Elternseite ein breites Interesse zu bestehen und auf Veranstalterseite für den Augenblick auch das Bemühen um Sponsoren erfolgversprechend zu sein. Der Bundeswettbewerb Fremdsprachen Latein für die Sekundarstufe I findet unterschiedlich starken Anklang in den Bundesländern. In Nordrhein-Westfalen, wo die Teilnehmerzahl in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und vergleichsweise hoch ist, stagniert gleichzeitig die Teilnahme am Oberstufenwettbewerb Certamen Carolinum oder geht sogar zurück. Der gewünschte Stimulus, der vom Wettbewerb der Sekundarstufe I für die weitere Beschäftigung mit den alten Sprachen in der Oberstufe ausgehen soll, ist hier zur Zeit nicht erkennbar.


8. Fortbildung

Erfreulich ist die zunehmende Verankerung der Fortbildung in den neuen Bundesländern bei einem breiten Angebot und guter Annahme durch die Fachkollegen. Organisation und inhaltliche Gestaltung haben in den Landesverbänden eine wichtige Stütze.

Vielleicht noch stärker als in den neuen sind in den alten Bundesländern die fortbestehenden Sparmaßnahmen seitens der Kultusministerien zu spüren. Nachmittägliche Veranstaltungen, die den Unterrichtsausfall vermeiden oder minimieren, werden favorisiert. Dass viele Kollegen diese Angebote wahrnehmen, kann bei dem vergleichsweise hohen Durchschnittsalter nicht genug gelobt werden. Die gestiegene Arbeitsbelastung am Vormittag (vgl. oben 5) erklärt zugleich, warum manche dieser Veranstaltungen am Nachmittag zu wenig oder gar nicht besucht werden. Bei den Themen bildeten die neuen Lehrbücher und neue Arbeitsformen einen gewissen Schwerpunkt.

Bei ganz- oder mehrtägigen Veranstaltungen sind in der Regel die Landesverbände inhaltlich und organisatorisch federführend (vier zweieinhalbtägige zentrale Fortbildungen in nur einem Schuljahr in Baden-Württemberg, die vom dortigen Kultusminister organisiert wurden, sind die Ausnahme von der Regel). Bei den Kosten steigt die Eigenbeteiligung der Kollegen, da die finanziellen Möglichkeiten der Landesverbände begrenzt sind. Ein Blick auf die Themen der Fortbildungstagungen zeigt, dass „eine gesunde Mischung aus Altertumswissenschaft, Didaktik und Schulpraxis", wie es einer der Berichte ausdrückt, als das richtige Rezept angesehen wird.

9. Maßnahmen zu Information und Werbung

In Baden-Württemberg hat der Landesverband sich gegen eine Initiative zur Wehr gesetzt, mit welcher einseitige Werbung für Französisch als erste Fremdsprache betrieben wird. Die Gegeninitiative „Latein und Französisch", die von mehr als 50 Französischkollegen mitgetragen wird, macht sich für das Französische auf der Grundlage von Latein stark.

Broschüren, schulinterne Initiativen, Wettbewerbe, Präsentationstage (Römertag, Tag der Alten Sprachen, dies antiquus und so weiter), letztere teilweise in Zusammenarbeit mit Museen: Das sind die meistgenannten Aktivitäten zur Werbung.

Der Hinweis auf Allgemeinbildung, die mit dem Lateinunterricht besonders gefördert werde, hat in den neuen Bundesländern nur geringen Werbeerfolg, da Formen humanistischer Tradition hier weitgehend verlorengegangen sind. Dem entspricht in den alten Bundesländern der vergleichsweise geringe Erfolg mit umfangreicheren und eher abstrakten Werbetexten.

Die „massiven Werbemaßnahmen", die mit zu einer Stabilisierung der Griechischkurse im vergangenen Schuljahr geführt haben (vgl. oben 2), sind vor allem das persönliche Gespräch von Fachkollegen und Schulleitung mit Eltern und Schülern. Hier sind nach wie vor offenbar die besten Erfolgsaussichten.

10. Zusammenarbeit mit den neuen Bundesländern

Wie in den Vorjahren Einladungen zu Tagungen, Bereitstellung von Mitteilungsblättern sowie private Kontakte und Initiativen. Einer der Berichte aus den neuen Bundesländern schlägt vor, den Punkt Zusammenarbeit „nicht mehr so abzufragen". Man habe mittlerweise laufen gelernt und es bestehe eine freundschaftliche Zusammenarbeit, die von Geben und Nehmen geprägt sei.

11. Anregungen

Rheinland-Pfalz regt an: Aufnahme des Griechischen in den Bundeswettbewerb Fremdsprachen; deutlichere Akzentuierung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik an den Universitäten; Werbung für Mitgliedschaft im DAV bei den Studenten; nochmaligen Hinweis an die Kultusverwaltungen zu der besonders ungünstigen Altersstruktur der Lehrer in den Alten Sprachen; Protest gegen die mangelnden Einstellungsmöglichkeiten für junge Lehrer der Alten Sprachen; Erhebung der Studentenzahlen in Klassischer Philologie.

Schleswig-Holstein legt einen Schwerpunkt auf eine besondere Mitgliederbetreuung, auf einen Ausbau der Kontakte zu Kultur- und Bildungsinstitutionen sowie eine stärkere öffentliche Präsenz.

Beschlüsse bzw. Tendenzen an einigen Universitäten in Nordrhein-Westfalen, das Latinum als Eingangsvoraussetzung für ein Sprachenstudium fallenzulassen, machen eine Aktualisierung der vom DAV herausgegebenen Broschüre zum Latinum erforderlich.

antikinitiale.gif (4181 Byte) Thomas Brückner und Gunther Scheda

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Eberhard  Kaus: 

J. A. Comenius, Fr. Spee und die Europäische Kommission


antikinitiale.gif (4181 Byte) Das Fach Latein in einem europäischen Bildungsprojekt "Making the Classics European" - diese Forderung aus dem Aktionsprogramm des Verbandes „Euroclassica" von 19801 zeigt, dass sich die geflissentliche Betonung eines gemeineuropäischen Erbes, wenn man die bildungspolitische Realität betrachtet, als Topos der Festtagsrhetorik entlarvt. Erste Einblicke in die Problematik altsprachlichen Unterrichts in Europa vermittelte dem Verfasser der „Gesprächskreis Europa", der im April 1986 im Rahmen der Tagung des DAV und des Colloquium Didacticum Classicum in Tübingen stattfand. Die sich in den Vorträgen abzeichnende Situation dürfte sich nur graduell verändert haben. Damals nicht vorhersehbar war natürlich der Wandel in Osteuropa, der neue Chancen für Latein (und Griechisch) bot (und bietet).
Kennzeichnend ist eine nach Land und Schulform durchaus differenzierte Lage mit Tendenzen zu Verzögerung des Unterrichtsbeginns, Beschränkung auf bestimmte Schultypen oder Ersatz des Sprachunterrichts durch Formen eines - weitgehend mit Übersetzungen arbeitenden - altertumskundlichen Fachs. Nicht zuletzt die bildungspolitische Diskussion im Zusammenhang der fortschreitenden europäischen Einigung weist auf die Notwendigkeit einer Europäisierung unserer Fächer i. S. einer festen Verankerung im Rahmen eines supranationalen Curriculums und einer verstärkten Zusammenarbeit mit unseren europäischen Kollegen. Der letztgenannte Punkt bietet zugleich eine, wenn auch bescheidene, Ansatzmöglichkeit in der schulischen Praxis.

Als im Schuljahr 1995/96 das Hölty-Gymnasium in Wunstorf (Niedersachsen) unter der Federführung von StD P. Wendelken und StR B. Jonczyk mit einem Projekt im Rahmen des europäischen Bildungs-programms „Comenius" (unter dem [Expo-]Thema: „Mensch - Natur - Technik") begann, beteiligte sich daran von Anfang an auch die Fachgruppe Latein. Ziel war es zunächst, die europäische Dimension des Faches für Schüler erfahrbar zu machen. Hierzu wurden zwei Wege gewählt:

1. Beteiligung an einer CD-Produktion: Meinem Kollegen B. Jonczyk verdanke ich die Anregung zu einer „Comenius-Hymne", die in Vertonungen der jeweiligen Partnerschulen, unter kompositorischer wie reproduktiver Mitarbeit von Schülern und Lehrern, neben anderen Beiträgen auf der (von der Europäischen Kommission finanziell unterstützten) CD „Hölty and Friends Go Comenius" erschien; der Text sollte (!) auf Latein geschrieben sein, „der Sprache, die über Jahrhunderte eine gemeinsame
Grundlage des Austausches von Gedanken über die Grenzen hinweg darstellte" (so das Beiheft):

Laudes Comeni

Versus rhythmicos Latinos composuit

Eberhardus Kaus 1997


1.

Orbem pictum,

sed non fictum

cunctis praebet manibus,

ut mortales mentis luce

Deo vero noscant duce

mundum suis sensibus.

R: Nobis vincula iuncturis

amicitiae et iuris

gentium communio

duce fit Comenio.

2.

Peregrinans,

sed non errans

fidem parat mutuam;

pacem condens inter reges

moribus coniungit leges,

linguae pandit ianuam.

R: Nobis vincula iuncturis

amicitiae et iuris

gentium communio

duce fit Comenio.

Die vier musikalischen Bearbeitungen aus Italien, Dänemark, Schweden und Deutschland, die schließlich eingespielt wurden, zeigen eine reizvolle Bandbreite von Gregorianik über das Kunstlied bis zu Rock und Pop. Ferner regte der Text, zu dem ich eine deutsche „Arbeitsübersetzung"2 bereitgestellt hatte, einen schwedischen Schüler zu einer eigenständigen Bearbeitung („Lovsang till Comenius") und Vertonung an, die als weiterer Beitrag auf der insgesamt acht Titel umfassenden CD erschien.
Zielte dieser Projektteil vorwiegend auf ein emotionales Erleben Europas, sollte die europäische Dimension auch im eigentlichen Lateinunterricht deutlich werden.

2. Gemeinsames Projekt eines Lateinkurses Kl. 11 mit der Klasse SP 3a der Sunnerboskolan/Ljungby (Schweden): Die eingangs geschilderte Problematik zeigte sich bei der Suche nach einer geeigneten Schule. Von den Partnerschulen des Hölty-Gymnasiums kamen zunächst die in Vollmitgliedsstaaten der EU gelegenen in Betracht. An der italienischen Partnerschule
- dem Istituto Tecnico Commerciale „Da Passano" in La Spezia - wird kein Latein unterrichtet. Schließlich bot die einzige (!) Lateinlehrerin unserer schwedischen Partnerschule, Fr. Birgit Lindbäck, ihre Zusammenarbeit an. Bei einem Treffen in Wunstorf wurden im August 1996 die gegenseitigen Vorstellungen besprochen.

Zur Situation in Schweden: Der Lateinunterricht läuft zweijährig in Kl. 11 und 12. Der Lehrbuchphase liegt eine Bearbeitung des Cambridge Latin Course zugrunde, daran schließt sich etwas Cicero- und eine Lesebuchlektüre mit dem Schwerpunkt auf mittel- und neulateinischen Texten (Gesta Romanorum - Linné) an. Die Lektürefähigkeit unterscheidet sich somit deutlich vom deutschen Durchschnitt (Latein ab Kl. 7).

Das gemeinsame Projekt sollte:

die Bedeutung des Lateinischen im europäischen Rahmen erkennen lassen;

einen thematischen Bezug zu beiden Partnerländern haben und

inhaltliche Bedeutsamkeit aufweisen,

um das Schülerinteresse zu wecken und die unterrichtliche Behandlung über einen längeren Zeitraum zu rechtfertigen.

Diese Kriterien, die Betonung des Neulateinischen im schwedischen Lehrgang sowie der Gedanke, für den eigenen Unterricht Neuland zu erschließen, veranlassten den Verfasser, den schwedischen Partnern als Thema die Auseinandersetzung mit den Hexenprozessen in Schweden und Deutschland vorzuschlagen: „Judicium, ratio, caritas - Der Kampf gegen Verfolgung und Aberglauben in Friedrich Spees Cautio criminalis (l63l/32)". Die Entstehungszeit dieses Textes, d. h. die Phase, in der man
den „Dreißigjährigen" (in Deutschland) als „Schwedischen Krieg" zu bezeichnen pflegt, die Tatsache, dass die erste deutsche Übersetzung Johann Seiferts (Bremen 1647) dem schwedischen Generalfeldmarschall und Gouverneur der (Erz-)Stifter Bremen und Verden gewidmet ist und möglicherweise das Dekret Königin Christinas vom 16.2.1649 über die Einstellung der
Hexenprozesse in den schwedisch besetzten Gebieten Deutschlands beeinflusst hat, sowie der gemeineuropäische Charakter der Hexenverfolgungen machten die Schrift Spees m. E. zu einem beide Seiten ansprechenden und einbeziehenden Text. Arbeitsgrundlage bildete eine vom Verfasser angefertigte und erläuterte Auswahl nach der historisch-kritischen Ausgabe des niederländischen Germanisten und Theologen Theo G. M. van Oorschot3.

In unterrichtlicher Lektüre und Schülerreferaten wurden verschiedene Aspekte des Phänomens Hexenverfolgungen, nicht zuletzt aber auch der Text als rhetorisch geschickte Streitschrift thematisiert. Bei der Textauswahl4 wurde versucht, grundlegende Fragen, die Spee in seiner Cautio anspricht, trotz aller Kürzung erkennen zu lassen. Hierzu gehören u. a.:

der Glaube an Hexen und „Hexensabbat",

das Verhältnis von Tradition und Vernunft,

Deutschland als Zentrum des Hexenwahns,

die beteiligten Gruppen und ihre Verantwortung (Volk, Geistlichkeit, Beamte, Fürsten),

Gott und Prozessverlauf (Theodizee),

Unschuldsvermutung und Recht auf Verteidigung,

die Folter als Hindernis zur Wahrheitsfindung.

Die Schülerreferate ergänzten den Text u.a. durch Hintergrundinformationen und Erklärungsversuche moderner Historiker/innen5 und schufen dadurch die Möglichkeit, sich ein Urteil über Spees Einschätzung zu bilden. Die schwedischen Partner lieferten über Fax einen Beitrag „Witchtrials in Sweden", der bei zeitlichen und zahlenmäßigen Unterschieden durchaus Parallelen zu den deutschen Verhältnissen erkennen ließ.
Das Jubiläum anlässlich des 75jährigen Bestehens des Hölty-Gymnasiums bot die Gelegenheit, die Ergebnisse des Projektes der Schulöffentlichkeit vorzustellen. Hierzu waren neben den Referattexten (in Kurzfassung) Auszüge aus Spees Mahnschrift in Schülerübersetzungen für eine Schautafel aufbereitet worden.

Fazit: Sowohl die musikalische Arbeit mit der Hymne als auch die für den Lateinunterricht (meiner Kenntnis nach) neuartige Beschäftigung mit Spees Cautio criminalis hat Interesse bei zahlreichen Schülern gefunden und das COMENIUS-Projekt um eine wichtige Facette ergänzt. Die vorausgehende Darstellung dürfte aber auch das Hauptproblem dieses Projektes deutlich
gemacht haben. Es besteht in der Unausgewogenheit der Partnerbeteiligung. Der Grund liegt dabei sicher in den unterschiedlichen Voraussetzungen der beteiligten Schülergruppen. Gleichwohl sollte man m. E. hierbei nicht stehen bleiben.
Gerade die geschilderte Situation in vielen europäischen Ländern zwingt zu einer engeren Zusammenarbeit untereinander, soll das Ziel einer festen Verankerung der classics in einem europäischen Curriculum erreicht werden. Die Konsequenz kann also nur heißen, weiter nach geeigneten Möglichkeiten zu suchen und z. B. bei der Textauswahl stärker auf die augenblicklichen
Möglichkeiten des Partners einzugehen6. Wichtig ist es, im Gespräch zu bleiben, mit den europäischen Nachbarn, nicht weniger aber mit unseren Kollegen „vor Ort", um das
Bewusstsein für die Bedeutung unserer Fächer als Einheit stiftendes Band Europas wachzuhalten.

1) Hierzu H.-J.Glücklich in: Forum Classicum 40,2 [1997],62ff.

2) Im Februar 1998 erschien ein zusätzliches Begleitheft, hrsg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, in dem die CD einschl. der Liedertexte in acht weiteren europäischen Sprachen vorgestellt wird. - Die CD kann gegen Erstattung der Versandkosten beim Sekretariat des Hölty-Gymnasiums bestellt werden:
Hindenburgstr. 25, 31515 Wunstorf.

3) F.Spee, Cautio Criminalis, hrsg. von Theo G. M. van Ooschot (= F. Spee, Sämtliche Schriften, hist.-krit. Ausgabe, Bd.3), Tübingen und Basel (Francke) 1992.

4) Sie umfasste Abschnitte aus den dubia I, II, VIII, X, XVII und LI.

5) Themen der Referate waren u.a. : „Friedrich Spee", „Prozeßwellen", „Ursachen der Hexenverfolgung", „Geographische Verbreitung der Hexenprozesse in Deutschland", „Kinder in Hexenprozessen". Die Grundlage bildeten u. a.: G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981, und der Sammelband Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich, hrsg. von G. Wilbertz, G. Schwerhoff und J. Scheftler, Studien zur Regionalgeschichte Bd. 4, Bielefeld 1994.

6) Im Gespräch ist z. Zt. ein gemeinsames Projekt über „Phaedrus und die Fabel in Schweden und Deutschland". Geplant ist ferner die Beteiligung am zweiten Teil des COMENIUS-Projekts unter der Federführung unserer italienischen Partnerschule mit dem Thema: „Giubileo 2000" (Pilgerwege und -fahrten in Europa).


antikinitiale.gif (4181 Byte) Eberhard Kaus, Wunstorf

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Bernhard Kytzler / Niko Eberl:  

Unser tägliches Griechisch*

I.

antikinitiale.gif (4181 Byte) Die Präsenz des einstigen römischen Imperiums auf deutschem Boden ist überdeutlich. Die Legionen aus dem Süden haben Straßen gebaut und Brücken errichtet, sie haben Städte gegründet und ihnen Namen gegeben wie etwa Köln und Neuss; sie haben architektonische Errungenschaften eingeführt und den Weinbau in weiten Gebieten Deutschlands heimisch gemacht. All das und noch viel mehr bezeugt auch die deutsche Sprache mit ihrem hohen Anteil ursprünglich lateinischer Wörter (vgl. Kytzler und Redemund 1994).
Dass aber auch die griechische Sprache sich mit einer erstaunlich hohen Anzahl von Wörtern und Wendungen im Deutschen heimisch gemacht hat, nimmt schon eher wunder. Die beiden Länder sind ja nicht benachbart, sie haben wenig Kontakte im Laufe der Geschichte entwickelt, und erst in den letzten Dezennien ist es durch die griechischen Gastarbeiter in Deutschland einerseits, durch die deutschen Touristen in Griechenland andererseits zu einigen nachhaltigeren Kontakten gekommen. Die Erklärung des verwunderlichen Phänomens soll sich am Ende dieser Studie ergeben. Sie berichtet über ein im Jahre 1993 begonnenes Projekt, das zum Ziel hat, parallel zu dem bereits genannten Buch über die lateinischen Wörter, nun auch das griechische Spracherbe in unserer Muttersprache zu erfassen und vor Augen zu stellen.

antikborte2.gif (30181 Byte)
II.


Zunächst wurde eine Liste sämtlicher aus dem Griechischen stammender direkt oder indirekt übernommener Wörter erstellt unter Verwendung dreier einschlägiger Werke (Duden Bd. 5, 1990; Kauczor & Wittstock 1979; Richter & Hornbostel 1981). Diese Liste umfasste ca. 15.000 griechische Fremd- bzw. Lehnwörter von den insgesamt 50.000 derartigen Wörtern verschiedener Herkunft.
Die so ermittelten ca. 15.000 Wörter wurden dann auf das Maß der den Autoren relevant erscheinenden Wörter reduziert. Dabei wurden von dem Gesamtbestand von 15.000 die 9.500 bedeutendsten ausgewählt. Hierbei war das maßgebende Kriterium der tägliche Sprachgebrauch unter Mitberücksichtigung von Fachsprachen wie etwa Medizin und Botanik, Chemie und Musik, Rhetorik und Grammatik. Von diesen Fachsprachen wurden solche Wörter ausgewählt, die auch dem Laien begegnen.
Was die Kriterien für die Auswahl der griechischen Fremd- bzw. Lehnwörter betrifft, so fanden folgende Wortgruppen Aufnahme in Unser tägliches Griechisch (im folgenden: UTG):

Fremdwörter im engeren Sinn (wie z. B. Philosophie), die direkt oder indirekt ins Deutsche gelangt sind und gar nicht oder nur wenig verändert worden sind, d. h. als fremd empfunden werden. Dabei ist zu erwähnen, dass viele griechische Fremdwörter über das Lateinische oder die romanischen Sprachen den Weg in die deutsche Sprache gefunden haben, aber nur wenige über das Englische (Mimikry, Spleen) und so gut wie keine über das Russische.
Lehnwörter, d. h. früh entlehnte und dann eingedeutschte Wörter, wie z. B. Teppich, das dem griechischen  tapes (= Decke) im 7. Jahrhundert entlehnt wurde, während die Bedeutung Tapete vom selben Wort erst ca. 1000 Jahre später übernommen wurde. Ebenso wurden eigentliche Lehnwörter wie Butter und Tisch von  boutyron (= Rindskäse) bzw. diskos  (= Rundscheibe) erfasst, die der Fremdwörterduden nicht aufführt.
Wörter anderer Sprachen (z. B. hebräischer oder ägyptischer Herkunft), die über das Griechische als Fremdwort ins Deutsche eindrangen, z. B. der von dem aramäischen abba über das griechische Wort abbas abgeleitete Abt.
Neologismen, d. h. Wörter, die es im antiken Griechisch nicht gab und die in der Moderne zur Benennung neuer Dinge od. Begriffe künstlich aus dem Griechischen gebildet wurden, wenn der deutsche Wortschatz zur präzisen Bezeichnung des neuen Inhalts nicht ausreichte. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Technologie, wie z. B. die Wortschöpfung Hologramm
(dreidimensionale Ansicht; aus holos = ganz) und gramma  (= Buchstabe, Schrift) zeigt.
Zusammengesetzte Wörter finden generell nur dann eine Aufnahme, wenn ihre jeweiligen Teile einzeln andere Bedeutung haben als das zusammengesetzte Wort (wie in dem Fall Ökologie). Oft handelt es sich hierbei um Hybridbildungen, meist griechisch-lateinischer (z. B. Automobil), oft auch griechisch-deutscher Herkunft (z. B. Autobahn). Hier ließen wir uns von dem Grundsatz der Benutzerfreundlichkeit leiten, haben uns also in Zweifelsfällen jeweils für die Aufnahme entschieden. Interessanterweise finden sich unter den griechischen Fremdwörtern kaum Verben, anders als bei den lateinischen Fremdwörtern, die unter Verwendung deutscher Vorsilben (wie an, auf-, ver-, zer-) in Kombination mit einem lateinischen Wort entstehen.
Schließlich haben wir uns entschieden, Vornamen aufzunehmen, um auch diesen Bereich des täglichen Gebrauchs griechischer Wörter hinreichend zu dokumentieren (z. B. Barbara, Nikolaus, Angelika, Alexander). Das gleiche gilt für Ausdrücke und Redewendungen aus Mythos und Geschichte (Tantalosqualen, Damoklesschwert), die im lexikalischen Teil aufgeführt und in einem Anhang erläutert werden.
Nicht aufgenommen hingegen wurden solche Wörter griechischer Herkunft, die erst in der Neuzeit ins Deutsche eingedrungen sind (z. B. Ouzo) und daher nicht als altgriechischen Ursprungs gelten können.
Nach der Auswahl der Wörter wurden diese für den Lexikonteil bearbeitet, d. h. es wurde die Etymologie überprüft und das jeweilige Ursprungswort aus dem Griechischen mit Hilfe der einschlägigen Lexika ermittelt (Frisk 1960; Pape 1954). Eventuelle Lücken werden unter Benutzung des sechsbändigen Duden-Wörterbuchs sowie der Werke von Richter & Hornbostel (1981) und Kauczor & Wittstock (1979) geschlossen. Angestrebt ist eine Darbietung, die parallel zu Unser tägliches Latein (im folgenden abgekürzt als UTL) in tabellarischer Form den Bestand der griechischen Wörter im Deutschen aufzeigt. Eine Beispielseite erläutert dies im folgenden.

Die Beispielseite ist deutlich in fünf Kolumnen gegliedert. Nach der laufenden Nummer am linken Rande erscheint zunächst in alphabetischer Folge das deutsche Stichwort und anschließend eine kurze Erklärung resp. Übersetzung desselben. Diese dritte Spalte ist außerdem in gegebenen Fällen erweitert durch Zahlenangaben; diese Kennziffern verweisen auf den beigegebenen Sachgruppenkatalog, in dem 87 Themen aufgelistet sind. Durch die Verweise ergibt sich leicht die jeweilige Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich (oder auch mehreren), sei es ,Jagd` oder ,Kunst`, ,Schlaf` oder ,Hygiene`, ,Geld`

A

0001     a- (auch     verneinende Vorsilbe (alpha              ~-, ~í-, ~ì-     nicht, ohne

            an-, am-)              privativum)                               a-, an-, am-

0002     Abakus    1. antikes Rechen- o. Spiel-              eâáî                  Tischplatte,

                                brett {71/75/85};                          abax                  Rechen-,

                            2. Säulendeckplatte beim                                           Spielbrett, obere

                            Kapitell {88}                                                              Platte auf dem

                                                                                                              Säulenkapitell

0003     Abasie     Unfähigkeit zu gehen                          ~                      s. oben 0001

                                                                                    a-

                                                                                    + âáßíåéí              gehen

                                                                                    bainein

            abatisch      1. die Abasie betreffend;                  dto.                      dto.

                            2. unfähig zu gehen

0004     Abaton     1. das Allerheiligste;                          eâáôïí                  das Unbetretbare

                            2. Altarraum in den Kirchen des         abaton

                            orthodoxen Ritus (rel. t. t.)

0005     Abbé     (1. Form): Titel eines Geist-                  eââáò                  Vater

            bzw.          lichen in Frankreich                              abbas                  vgl. unten 0010

            Abate      (2. Form): Titel der Weltgeist-

            aram>gr. lichen in Italien oder Spanien

                            {51}

0006     Abderit     einfältiger Mensch,                              \Áâäçñßôçò          Bewohner der

                            Schildbürger                                          Abderites          altgriechischen

                                                                                                                Stadt Abdera (s.

                                                                                                                Anhang „Mythos")

              abderi-      einfältig, schildbürgerhaft                          dto.                  dto.

                tisch

0007     Abiogene-     Annahme, daß Lebewesen                  ~                      s. oben 0001

            se o. Abio-      ursprünglich aus unbelebter                  a-

            genesis          Materie entstanden seien                      + âßïò                  Leben

                                                                                            bios

                                                                                            + ãÝíåóéò         Ursprung,

                                                                                            genesis              Entstehung

0008     Abiose,     Lebensunfähigkeit                                      ~                      s. oben 0001

            Abiosis                                                                       a-

                                                                                            + âßïò             Leben

                                                                                            bios

            abiotisch      ohne Leben, leblos                                  dto.                    dto.


oder ,Geschichte`. Der Benutzer wird so darauf geführt, sich der Zusammengehörigkeit von Wortfeldern zu vergewissern.

Die vierte und vorletzte Spalte nennt nun das griechische Wurzelwort. Da sicherlich bei der Mehrzahl der Benutzer nach Shakespeares Vorbild mit little Latin and less Greeke zu rechnen ist, wird jedes Wort in griechischen Buchstaben und zugleich auch in deutscher Umschrift angegeben. Die letzte Spalte schließlich erklärt die Bedeutung des griechischen Grundwortes. Querverweise sollen das Verständnis erleichtern und vertiefen.
Ein kurzer Blick auf diese Spalte zeigt bereits die Breite des Einzugfeldes. Neben ein Alltagsgerät (Nr. 2) tritt ein hochdynamisches religiöses Wort (Nr. 4); komplizierte dreigliedrige Zusammensetzungen (Nr. 7) kontrastieren mit einfachen Vorsilben (Nr.1); aus Eigennamen abgeleitete Wendungen (Nr. 6) bedürfen gar einer gesonderten Erläuterung. Insgesamt zeigt sich, dass das Lexikon sowohl der schnellen Information wie auch der vertiefenden Einsicht dienlich sein kann. Die Fertigstellung des Buches ist für das Jahr 1998 angestrebt.

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III.


Um die Dimensionen von UTG zu verdeutlichen, soll der Buchstabe A im folgenden als Beispiel dienen. Hier wurden aus ca. 2500 Wörtern des Fremdwörterdudens die 937 bedeutendsten ausgewählt. Ein interessanter Aspekt der Statistik ist die Häufigkeitsverteilung auf die einzelnen Gebiete, aus denen das Deutsche griechische Fremdwörter übernommen hat. Hierbei stellt man alsbald fest, dass es sich hauptsächlich um geistige Bereiche handelt. Während Bezeichnungen der Damenmode und Kosmetik im Deutschen oft französischen Ursprungs (z. B. Satin, Parfum), Bezeichnungen der Herrenmode eher englischen Ursprungs (z. B. Smoking) sind, so handelt es sich bei den griechischen Fremdwörtern in der Mehrzahl um Begriffe aus dem Gebiet der Wissenschaften (insbesondere Medizin, Chemie, Botanik), der Technik, der Künste, der Religion und der Politik.

Wenn man die Eintragungen unter dem Buchstaben A in UTG betrachtet, so weist die Medi
zin 108 Eintragungen auf, die Chemie 25, die Religion 18, die Philosophie 15 und die Botanik schließlich 12. Der Schwerpunkt liegt also auf den Naturwissenschaften und der Technologie. Dabei ist festzuhalten, dass viele neue Wortschöpfungen aus dem Bereich der modernen Kommunikation stammen, wie z. B. das Telephon, Telegramm, Telefax, deren Vorsilbe sich von tele  ( = fern) ableitet.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei vielen der griechischen Fremdwörter um Komposita, die unter Verwendung von Vor- bzw. Nachsilben, d. h. Prä- bzw. Suffixen, gebildet sind. Wenn man den Buchstaben A unter diesem Aspekt betrachtet, so handelt es sich bei immerhin 550 Eintragungen von insgesamt 937 um derartige Komposita. Hierbei sind zwei Gruppen zu
unterscheiden. Zum einen gibt es die eigentlichen Präfixe, deren Ursprung meist ein Adverb ist. Zum anderen handelt es sich um Bestimmungswörter, d. h. Nomen wie aer, aster, die den ersten Bestandteil des Kompositums bilden und so eine Vielzahl von Kompositionsbildungen ermöglichen. Wer diese Vorsilben kennt, kann sich viele Fremdwörter griechischer Herkunft selbst erschließen.

Neben dem rein Numerischen soll UTG auch den Wandel von Wortbedeutungen durch die Jahrhunderte dokumentieren. So wurden die Astrologen (von astrologos = Sternkundiger) zu Strolchen, Katharer (katharos = Glaubensreine) zu Ketzern. Auch kommt es vor, dass die Übernahme von Fremdwörtern schon vorhandenen Wörtern neue Inhalte gibt: Handelt es sich bei dem Sarkophag eigentlich um einen „Fleischfresser", so ist der Skandal ein „Stellholz" an der Tierfalle. Schließlich können durch den Blick auf die ursprünglichen Wortbedeutungen Vorstellungen der antiken Medizin sichtbar werden: So bedeutet Hysterie eigentlich Unterleibsleiden und die Melancholie Schwarzgalligkeit.

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IV.


Aus der klassischen Antike wird eine boshafte Wortbildung berichtet: Als die delphische Sibylle, die Pythia, nach Meinung mancher Zeitgenossen wie etwa des Demosthenes sich in ihren Sprüchen allzu freundlich über den problematischen Nachbarkönig Philipp von Makedonien äußerte, sagte man, sie philippisiere = philippizein (  Min. Fel. Oct. 26,6). Es ist eigentümlich zu beobachten, dass gerade diese Art von Wortbildung die einzige Klasse von Verben darstellt, die sich, aus griechischer Wurzel stammend, im modernen Deutsch findet. Es handelt sich dabei, unter Verwendung des Suffixes -idsein , entweder um ebenfalls von Eigennamen abgeleitete Wendungen oder aber um solche, die mit einem weiteren Begriffsfeld in Zusammenhang stehen. So mag etwa von einem platonisierenden Lehrsatz die Rede sein oder von einem homerisierenden Vers. Auf der anderen Seite stehen Verben wie analysieren oder kategorisieren, ferner dramatisieren oder ironisieren, ferner idealisieren oder
problematisieren, kritisieren oder harmonisieren. Auch ästhetisieren (aus der Poetologie) oder anästhesieren (aus der Medizin) können genannt werden, ebenso aber auch das Poetisieren. Bisweilen gibt es gar gräzisierende Gedankengänge oder hellenisierende Tendenzen. Etwas anders ist die Wortbildung bei den Verben bezirzen, philosophieren oder musizieren.

Diese kurze Auflistung macht freilich nicht vergessen, dass vergleichsweise nur verschwindend wenige Verben der deutschen Sprache auf einer griechischen Wurzel beruhen. Ihnen stehen jedoch auf der anderen Seite Tausende von Substantiven und Adjektiven gegenüber, die sich in offener oder mitunter in mehr versteckter Form aus der Sprache der Hellenen herleiten. Unser tägliches Griechisch ist in der Tat ein Alltagsphänomen, ob man nun die Butter auf den Tisch stellt, beim Arzt mittels EKG eine gründliche Diagnose erhält und hernach hoffentlich auch vom Apotheker hinreichend therapiert wird, ohne zum Chirurgen zu müssen oder von einer Epidemie betroffen zu sein. Vielleicht, dass jemand bisweilen auch in der Kirche den psalmodierenden Priestern, im Münster dem Evangelium der Mönche lauscht. Nicht nur der Pfarrer und sein Bischof wie
überhaupt die Diakone, Äbte und Eremiten, sondern auch der Architekt oder der Archäologe, der Philologe und der Bibliothekar, die Kosmetikerin wie der Kosmonaut, schließlich die Musiker wie die Dramatiker, die Politiker wie die Poeten, die Mathematiker und die Grammatiker, die Physiker und die Geographen - sie sind allesamt griechisch geprägt; ob sie nun Schorsch heißen oder Grete, Irene oder Iris, Philipp oder Andrea, Agathe oder Barbara, Peter oder Alexander oder Klaus: Das griechische Spracherbe in unserer Muttersprache ist nicht auf das Dionysische und Apollinische allein beschränkt, es mischt munter mit im Medium des modernen Umgangsdeutsch.

Das mag sich im Sport auf die Olympiaden, die Athleten und die Marathonläufer beziehen, es mag mit der Ökonomie und der Ökologie zu tun haben, mit Tragik oder Komik, mit Lyrik oder mit Logik. Vielleicht ist eine besondere Taktik im Spiel, gar eine Strategie, die zur Hegemonie führen soll. Oder ist das nur eine Utopie? Sind es Sirenengesänge? Oder Sphärenklänge? Eine Euphorie? Hat uns ein Strolch ein trojanisches Pferd eingeschmuggelt, ein Danaergeschenk?

Ob es um Nautik oder Astronautik oder Kosmonautik geht, ob ein Geologe im Ozean ein Archipel sucht, ein Physiker die Atome untersucht oder ein Chemiker die Elemente studiert, ob ein metaphysisches Axiom erörtert wird, das geozentrische oder das heliozentrische Weltbild - der griechische Geist ist gedanklich und sprachlich gegenwärtig. Da stehen Historiker neben Hysterikern, Monarchisten gegenüber Anarchisten, Misanthropen neben Philanthropen, Phlegmatiker neben
Cholerikern und Melancholikern. Aristokraten und Demokraten begegnen sich. Nekrologe entfalten sich zwischen Prolog und Epilog. Epigramme sind gern kritisch, Paragraphen meist umstritten, besonders wenn Pornographie oder lesbische Erotik das Thema ist. Episoden können in Katastrophen münden. Wer sich egozentrisch im Labyrinth seiner Psyche, in den Katakomben seiner Seele verirrt, wird für jeden Ariadnefaden dankbar sein, der ihm eine weitere Odyssee erspart. Wer zur Unterhaltung ins Kino oder ins Museum geht, wer zur Erbauung im Theater ein Drama sieht, vielleicht einem Orchester während einer Symphonie lauscht, ein Musikenthusiast, der sich an ihren Harmonien, ihren Rhythmen und Melodien freut, oder aber wer in der Akademie mit dem Dekan der theologischen Fakultät ein Dogma der Häretiker diskutiert oder die Ethik der Euthanasie - ja selbst das Kind, das in der Schule oder im Gymnasium oder im Lyzeum den neuen Methoden der Pädagogen anvertraut wird: Sie alle wandeln entschieden auf griechischen Spuren, sie bedienen sich, wie bewusst oder unbewusst auch immer, jener Denkansätze und Begriffe, die dereinst im frühen Europa geprägt und uns Späteren dann in generationenlanger Traditionskette überliefert worden sind; eine Dimension, derer sich genauer zu vergewissern gewiss gut tut.

Damit findet auch die Eingangsfrage ihre Antwort. Griechenland und Germania mögen geographisch getrennt gelegen sein, im Geistigen sind sie einander nah. Europas Bildungstradition bindet sie eng aneinander. Die geheime Gräzität der deutschen Sprache korrespondiert mit ihrer latenten Latinität. Sie gründet auf der Weiterführung des griechischen Gutes vieler Bildungsbereiche: Physik, Mathematik, Geologie, Geographie, Astronomie, Grammatik, Rhetorik, Philosophie,
Geschichtswissenschaft, Erziehung, die bildenden Künste, die Architektur und die Literatur, die Religion und der Kult, das Theater und die Medizin - sie alle haben in weit ausgreifender Folge im europäischen Raum übernommen und entwickelt, was einst im hellenischen Kulturkreis entdeckt, erschlossen und gültig benannt worden ist. Und im Rahmen dieser klassischen Traditionen sind dann auch in der Neuzeit weiterführende Errungenschaften mit neugebildeten Namen bezeichnet worden, die sich sprachlich an jene althergebrachte Tradition anschließen. Das geheime Griechisch des alltäglichen deutschen Sprachgebrauchs ist, um mit einem letzten griechischen Wort zu schließen, ein faszinierendes Phänomen.

* Erstveröffentlichung in: Acta Germanica, Jahrbuch des Germanistenverbandes im südlichen Afrika 24, 1996, S. 203-209.

Literatur

Duden, Bd. 5, Fremdwörterbuch. 1990 (5. Auflage). Mannheim, Wien & Zürich: Dudenverlag.

Frisk, H. 1960. Griechisches Etymologisches Wörterbuch. Heidelberg: Carl Winter, Universitätsverlag.

Kauczor, J. & O. Wittstock 1979. Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz. Berlin: Volk und Wissen.

Kytzler, B. & L. Redemund 1994 (3., erweiterte Auflage). Unser tägliches Latein: Lexikon des antiken Spracherbes. Mainz: Philipp von Zabern. (Kulturgeschichte der antiken Welt; Bd. 52; 1995 auch als Taschenbuch erschienen: Augsburg: Weltbild Verlag).

Pape, W. 1954 (Nachdruck der 3. Auflage): Griechisch-Deutsches Handwörterbuch. Graz: Akademische Druck u. Verlagsanstalt.

Richter, F. & W. Hornbostel 1981. Unser tägliches Griechisch. Mainz: Philipp von Zabern.

antikinitiale.gif (4181 Byte) Bernhard Kytzler, Niko Eberl, Durban    (Südafrika)

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Franz Strunz: 

Hypatia in der schönen Literatur: Fritz Mauthners Hypatia

1. Hypatia

antikinitiale.gif (4181 Byte) Die alexandrinische Philosophin Hypatia  wurde zwischen 350 und 370 n. Chr. als Tochter des Mathematikers Theon, dessen Schriften erhalten sind, geboren. Da ihr Vater am berühmten Museion seiner Heimatstadt unterrichtete, dürfte sie von ihm ihre mathematische Ausbildung erhalten haben. Wer sie in Philosophie unterwiesen hat, ist unbekannt. Hypatia war glänzend begabt und erwarb sich auf mehreren Gebieten so hohe Kompetenzen, dass sie von den Archonten der Stadt und vom ägyptischen Statthalter in wissenschaftlichen und praktischen Fragen zu Rate gezogen wurde. Sie war hochangesehen und eine führende Figur des damaligen kulturellen Lebens der wichtigsten Stadt am Südufer des Mittelmeers. Als Lehrerin versammelte sie zahlreiche Schüler um sich, die wir später in hohen Positionen in Verwaltung und Kirche wiederfinden. Ihr berühmtester Schüler war Synesios, der spätere Bischof der kyrenaischen Pentapolis. Von dessen Briefen sind einige an die Philosophin erhalten, in denen sich die lebenslange Verehrung ausdrückt, die er und seine Mitstudenten der charismatischen Lehrerin entgegenbrachten.

Drei (verlorene) Schriften Hypatias zu mathematischen Themen werden von Hesych aufgeführt. Ob sie weitere verfasst hat, ist unbekannt. Gewiss aber hat sie an Theons Schriften mitgearbeitet, wie dieser selbst in einer erhaltenen Randnotiz vermerkt. Als nach des Patriarchen Theophilos Tod (412) sich sein Neffe Kyrillos den Bischofsstuhl von Alexandrien erkämpfte, begannen sich die Verhältnisse in der Stadt in unerfreuliche Richtung zu verändern. Immer wieder versuchte der eifernde Bischof mit Gewaltmitteln die Position der Orthodoxie zuungunsten anderer Glaubensgruppen (Novatianer, Arianer, Juden) zu stärken. Dabei scheute er nicht zurück, die Grenzen des Amtsbereichs des kaiserlichen Statthalters Orest, wenn es ihm erforderlich schien, bedenkenlos zu überschreiten. Aus dem friedlichen Nebeneinander staatlicher und kirchlicher Gewalt entwickelte sich durch des Bischofs Umtriebe ein Machtkampf, der alsbald den inneren Frieden der Stadt zu zerstören drohte. Auf Seiten des Patriarchen standen die ungebildeten Volksschichten und die fanatischen Mönche aus dem nitrischen Gebirge südlich von Alexandrien, die dieser bei Bedarf zur Durchsetzung eigener Ziele herbeizurufen pflegte. Ferner hatte er sich in den Parabolanern, offiziell ein Krankenwärter- und Totenbestatterdienst, eine ihm blind ergebene Truppe herangebildet, die ungelöste Streitigkeiten auf die Straße trug und durch Einsatz von Gewalt zu bereinigen suchte.

Die Verwaltungsschicht und die Gebildeten, Heiden wie Christen, stellten sich auf Orestes' Seite. Auch Hypatia scheint ihre bis dahin geübte weise Zurückhaltung und Neutralität aufgegeben zu haben. Da sie sehr einflussreich war, fürchtete der Bischof um seine Position und wurde, wenn nicht zum Anstifter, so doch durch seine Feindseligkeitsbekundungen vor vielen ihm vertrauenden Menschen zur Letztursache für ihre Ermordung vor der Kaisarion-Kirche durch einen fanatisierten Christenpöbel.
Ihre Leiche wurde zerstückelt und verbrannt. Ihr Tod blieb ungesühnt. Die schöne Literatur hat sich immer wieder ihrer Person angenommen, da die Informationslücken zu ihrem Leben und Wirken zu einer Ausgestaltung aufforderten. Eine davon ist Fritz Mauthners Roman Hypatia aus dem Jahr1892.

2. Mauthners Hypatia

Mauthner zögert nicht, die Geschichte zugunsten seiner Heldin zu verändern, wo es ihm geboten scheint. Das Kind Hypatia wird geboren, als Kaiser Julian vor seinem Perserfeldzug in Alexandrien, das er in Wirklichkeit nie betreten hat, eine Truppenparade abhält. Der Kaiser gibt dem Leben des Kindes Richtung und Bedeutung, indem er ihm die weibliche Namensform des Zeus Hypatos verleiht und es Hypatia nennt. „Dieses Kind bleibt unter meinem Schutz. Jeder Fluch der Unterwelt und jeder Blitz der Überirdischen soll die verdammte Hand treffen, die es wagt, das Kreuzeszeichen über mein Patenkind zu machen" (S. 10). Der Name wird Omen, Auftrag und Schicksal. Denn ebensowenig wie der Kaiser Erfolg in der Wiederherstellung des alten Götterglaubens hat, hat Mauthners Hypatia Erfolg mit ihrem ganz ähnlichen Ziel der Zurückdrängung des Galiläertums. Hypatia wächst in der Dienstwohnung Theons im Museion heran und wird von dem sieben Jahre älteren Knaben Isidoros, dessen Herkunft niemand kennt, unterrichtet. Isidoros gilt als belesenes Wunderkind in der Wissenschaft, das sich, sobald das Mädchen mit den „schwarzen Wunderaugen", die „verwunschene Prinzessin" (S. 19) zur jungen Frau geworden ist, alsbald in sie verliebt. Sowie sie, die schon von der ersten Unterrichtsstunde an „Warum?" zu jedem neuen Wissensstoff fragte, zum heiratsfähigen Weib herangewachsen ist, bittet Isidoros Theon um die Hand seiner Tochter. Der vielversprechende Lehrstuhlanwärter wird jedoch in der Hochzeitsnacht von seiner Braut von sich gewiesen. Hypatia flüchtet zum Vater zurück. „Vater, du bist auch ein Mann, aber das kannst du nicht wollen! Das ist ja fürchterlich! Kein Tier ist so häßlich!" (S. 35)

Hypatia, von einem idealen Leben besessen („ ... nur nicht vom Leben mit ihr reden, vom häßlichen Leben, das sie gar nicht kennen wolle", S. 31), bleibt hinfort Jungfrau und lässt sich auch von heftigem Liebeswerben einiger Jünglinge aus ihrer Studentenschaft, die ihrem Intellekt nicht minder wie ihrer Schönheit verfallen, davon abbringen. Isidoros entfernt sich tief enttäuscht von ihr und geht als Eremit in die nitrischen Berge. Nach dieser existentiellen Krise in Hypatias Leben beginnt die (auch historisch belegte) Zusammenarbeit Hypatias mit ihrem Vater, die sich zu ansehnlicher schöpferischer Fruchtbarkeit entwickelt. Zudem scheint ein Teil ihrer unabgeführten Erotik auf ihn übergegangen zusein. So kam es, „daß Professor Theon, der vor dieser Zeit ein trockener Fachmensch war, nun plötzlich anfing, wissenschaftliche Schriften herauszugeben, welche sich durch ein gewisses jugendliches Ungestüm und durch eine beinahe künstlerische Eleganz auszeichneten" (S. 38).
Wenig später wird sie zur „göttlichen Hypatia" (S. 42), welche, „schön wie eine griechische Göttin und keusch wie eine christliche Nonne" (S. 43), „dank ihrer berückenden Erscheinung, ihrem hinreißenden Vortrag und ihrer erstaunlichen Gelehrsamkeit" (S. 42), als Lehrerin weithin von sich reden macht und zur Glanzfigur im intellektuellen Lehrbetrieb Alexandriens wird. Dem von Julian ihr vorgezeichneten Weg treu, hält sie um die Zeit der Wahl des neuen Erzbischofs Kyrill (412) ein Kolleg mit dem Titel: „Die religiöse Bewegung und Kritik des Christentums", mit dem sie die Lehre der jungen Kirche frontal angreift und ungeheuren Zulauf findet. „Was dem Gesicht seinen unvergleichlichen Ausdruck gab, das waren die großen schwarzen Kinderaugen, die ... während des Vortrags leblos wie die Marmoraugen einer Götterstatue und doch wieder leuchtend von innerem Leben, über die Zuhörer hinweg ... irgendwo etwas Fernes, Großes schauten. Die tiefe, weiche Stimme der Rednerin endlich führte völlig hinaus aus den persönlichen Beziehungen, die wohl mancher der Studenten beim Anblick der schönen Lehrerin erträumen mochte. Der war es um die Sache zu tun ..." (S. 72).
Die Sache war die Überprüfung des christlichen Lehrgebäudes und seiner aus göttlichem Ursprung abgeleiteten Legitimation in julianischem Geist. Kyrill hält derweil seine erste Predigt in der Kathedrale und bemerkt mit brennender Eifersucht, dass die Elite der Stadt nicht ihm, sondern der Philosophin zuhörte. „Über sein glattes Gesicht flog ein gelblicher Schimmer", so dass sein Sekretär flüsterte: „Ihre Kritik hätte er ihr vielleicht vergeben, aber das nicht" (S. 74). So begann der Hass des Bischofs auf die heidnische Gelehrte, der sich durch den Umstand verkomplizierte, dass der Statthalter Orest mit Hypatia freundschaftlichen Umgang pflog. Der eifernde Bischof predigt von seiner Kanzel aber nicht nur gegen „die ketzerischen Vorlesungen einer verkehrten Wissenschaft" (S. 78). Er legt sich auch mit der weltlichen Macht in der Person Orests an, dem der Schutz der alten heidnischen Akademie und der jüdischen Gemeinschaft obliegt. Der Pöbel beginnt mit Hypatias Diffamierung als „diesem von der Hölle geschaffenen Weib" (S. 45), der „Tochter Theons oder des Teufels" (S. 44). Dass diese Frau soviele Interessenten in ihre Kollegs zog, konnte mit natürlichen Dingen nicht zugehen, lag doch der Alleinbesitz der Wahrheit beim christlichen Patriarchen. „So bildete sich allmählich die Sage, daß in der Hochburg des Satans, in dem Akademiegebäude von Alexandria, der oberste der Teufel selber hause in Gestalt eines wunderschönen Weibes", das die Jünglinge des Landes „abwendig mache vom wahren lebendigen Gotte" (S. 80). Als Kyrill in die Reihe seiner ihn umgebenden Priester die Frage wirft: „Habe ich denn gar keine Freunde in Alexandria, welche mit dieser griechischen Hexe und mit den Juden kurzen Prozeß machen?" antwortet sein vertrauter Hierax: „Solche Geschäfte kann straflos nur der Pöbel besorgen" (S. 106). Hierax wird zur Ausführung der Reinigung Alexandriens zu den Mönchen und Eremiten ins nitrische Gebirge gesandt mit der Aufforderung, der bedrohten Kirche und dem bedrängten Patriarchen mit
energischer Tatkraft beizustehen. Der Anführer und berühmteste der Eremiten jenes Gebirges ist der von Hypatia als Mann zurückgestoßene ehemalige Lehrer Isidoros, der nach Rache, natürlich im Namen Christi, brennt. Sein abgewiesenes Begehren hat sich in ihm in pure Aggressivität verwandelt.

Inzwischen hat Kyrill mit seinen gewohnten Mitteln das Judenpogrom und die Vertreibung der israelitischen Gemeinschaft aus der Stadt inszeniert. Der Statthalter erlebt seine Ohnmacht, als er sich voller Empörung in den Bischofspalast begibt und von dem Patriarchen Rechenschaft für die Tat fordert. Er lernt einen religiösen Zyniker der Macht kennen, der das alte weltliche Imperium zugunsten der jungen Ekklesia aus den Angeln heben will. „Excellenz scheinen nicht zu wissen, daß das Kaisertum aufgehört hat ... Eine neue Staatsform regiert selbst die Welt. Die Welt weiß es nur noch nicht. Die Kirche regiert. Der Kaiser ist nur noch eine Fahne" (S. 161). Endgültig scheint die säkulare imperiale Macht mit der Bettung des für heilig erklärten Ammonios, der Orest tätlich angegriffen und dann von seiner Umgebung getötet worden war, in das Grab Alexanders des Großen, dessen Gebeine verstreut werden, vernichtet. Das Heidentum ist mit dieser Geste unwiderruflich besiegt und Hypatias Leben scheint nunmehr verwirkt. Unter der Führung des Isidoros tötet ein Haufe abstinent lebender, misogyner Mönche („ihre Augen glühten", S. 222), ihrer sexuellen Motive unbewusst, Hypatia vor der Kirchentür. „Wiehernd vor Lust vollendeten die Einsiedler das Werk" (S. 224). Der alte, abgedankte Orest bringt Hypatias Asche zur Bestattung auf
seinen zyprischen Landsitz.

3. Mauthners Roman als Dichtung

Mauthners Roman ist in seiner Themenvielfalt und Bildkräftigkeit ein durchaus auch heute noch interessantes Buch, das den Vergleich mit Kingsleys berühmterer Hypatia nicht zu scheuen braucht. Freilich ist Kingsley sorgfältiger in der Herausarbeitung der Zeitverhältnisse und vor allem in der sprachlichen Gestaltung.
Mauthners Sprache streift das Feuilleton, das er in Berlin reichlich und über Jahre versorgt hat. Julians Soldaten sprechen wie preußische Grenadiere und Julian selbst wie ein wilhelminischer Herrscher: „Vorwärts, Jungen! Wir wollen auf die Perser losdreschen, daß nur das leere Stroh von ihren Köpfen übrig bleiben soll!" (S. 2). Die Truppe begrüßt den Kaiser mit: „Guten Morgen, Majestät!" und vieles mehr. Heutigen Lesern, die Ransmayrs Tomi kennengelernt haben, fallen Mauthners milde Anachronismen indes weniger auf als seinen Zeitgenossen, welche diese Züge als den historischen Roman, verglichen mit der altfränkischen Sprache von Dahns Germanenromanen etwa, aktualisierend und erneuernd priesen. Aus seinem historischen Wissen baut Mauthner manche Widersinnigkeit ein, wie etwa Hypatias Lektüre von Augustins Schriften, die die Philosophin sicher nicht gekannt hat, da im griechischen Osten Latein als Bildungssprache nicht gelernt wurde. Synesios ist Araber, obgleich er sich zeitlebens seiner lakedaimonischen Herkunft rühmt; er ist unverheiratet und wirbt um die verehrte Philosophin, obwohl der historische Synesios, wenngleich Bischof, Weib und Kinder hatte; er überlebt ferner Hypatia, die tatsächlich später starb als er.

Entgegen Mauthners dem Leser vermitteltem Eindruck ist mit Hypatias Tod das Heidentum in Ägypten nicht vernichtet. Der Tempelkult ist bis zum Edikt Justinians (529) dort nachweisbar. Hypatia selbst hat in ihren Vorlesungen keineswegs den Kampf gegen die christliche Lehre aufgenommen, sondern verhielt sich neutral. Zudem zählte sie viele Christen zu ihren Schülern, die
nach nicht mehr verlangten, als in der angesehenen althellenischen Bildung unterwiesen zu werden. Sie geriet erst in tödliche Gefahr, als sie sich zu politischer Parteinahme zugunsten Orests verleiten ließ. Das intellektuelle Heidentum und die neuplatonische Philosophie lebten bis ins 6. Jahrhundert ungekränkt weiter. Der Neuplatonismus, den Hypatia von der Lehrkanzel aus vertrat, scheint als Lehre von Mauthner nicht sehr durchdrungen worden zu sein, bildete er doch die ideale Intellektualfolie für Hypatias jungfräulichen Lebensstil. Nicht diesseitige Schönheit und Sinnengenuss sind des Weisen Intention, sein Sinn ist vielmehr auf die jenseitige geistige, die wirkliche, Welt gerichtet. So ist auch des Neuplatonikers Julian Schimpfrede auf das Christentum: „Die Lebensfreude wollen sie auslöschen, wie sie dem Griechentum jede Lust und jede Freude vergällt
haben für lange Zeit" (S. 10) ein Anachronismus. Man glaubt, eher Nietzsche zu hören. Christliche und neuplatonische Lehre sind sich in diesem Punkt, wie in so vielen anderen, einig wie Geschwister. Überhaupt geht ein Motivationsriss durch Hypatias Charakter, der bei Mauthner nicht aufgelöst ist. Es wird nicht verständlich, warum sie einerseits die sinnenfrohe altgriechische Götterwelt zurückwünscht, sich andererseits genuin weiblich-erotischem Verhalten gänzlich verschließt.

Drei Themen sind dem Roman als wiederkehrende, dem Romancier offenbar wichtige, Leitgedanken zu entnehmen, das der Stellung der Frau in der Männergesellschaft, das der Aufklärung und das diesem eng verbundene der religiös-geistigen Toleranz. Hypatia sieht, messerscharf wie eine heutige Feministin, die der aufkommenden Marienverehrung zugrunde liegenden Motive: „Sie schickten sich an, ein schlichtes Weib als Gottesmutter zum höchsten Rang im Himmel zu erheben, und gleichzeitig stießen sie das Weib hinaus aus der Kirche" (S. 84). Unter gänzlicher Absehung von ihrem eigenen sinnlich-leiblichen Rückzug doziert die Philosophin als Sprachrohr Mauthners: „Durch die ganze
christliche Kirchenlehre gehe ein krankhafter Abscheu vor aller Natur und vor aller Schönheit, und weil im Weibe Natur und Schönheit eins wurden im glücklichen Augenblick der Schöpfung, darum hasse das Christentum das Weib, und hasse es dann zumeist, wenn es zu seiner Natur und zu seiner Schönheit auch noch die geistige Freiheit erobern wolle" (S. 85). Sie verwahrt sich, „daß man dem Weibe seine Menschenwürde nimmt, um die Männer den unbekannten Engeln gleich zu machen" (S. 85), und sie schließt ihren Vortrag mit dem Ausruf: „Lieber eine Aspasia als eine Nonne!" (S. 86), wiewohl derlei Sätze zu Hypatias von Mauthner gezeichnetem Leben ohne Bezug sind. Kurzzeitig wird sie die Verlobte des Synesios, der „die Rechte des selbständigen Weibes" (S. 101) in einer platonischen Ehe zu wahren gesonnen ist; sein wirkliches Weib will sie freilich nicht sein. Auch hierbei scheint Mauthners Eintreten für die Frauen wegen der inhaltlich und psychologisch nicht schlüssigen Darstellung voll unausgegorener Widersprüche.

Auf sichererem Boden kann der Autor sich als Aufklärer fühlen, der religiöse Machtmechanismen überzeugend bloßlegt, wie die politische Kaltschnäuzigkeit von Kirchenführern, die zur Begründung ihrer unsauberen Aktivitäten ständig Christus oder andere himmlische Gewährsleute im Munde führen und wie sie in Bischof Kyrill exemplarisch und plastisch verkörpert sind. „Die Bischöfe seien die Geschäftsführer der neuen Partei geworden, seien ohne jede Religion, und die fanatischen Mönche seien unwissende und verrückte Schwärmer, etwa das, was unter der Herrschaft der alten Religion die Zauberer und Quacksalber gewesen wären" (S. 105).

Der aus Böhmen stammende und in Berlin, in der Zeit des Kulturkampfs, leidenschaftlich für Bismarck Partei ergreifende Mauthner stellt der intoleranten Orthodoxie mit Hypatia ein religiös tolerantes Christentum entgegen. „Wie thöricht die Menschen doch seien, sich um solcher Glaubensvorstellungen willen zu bekämpfen. Wie Kinder thöricht wären, wenn sie um ihrer verschiedenen Träume willen raufen wollten'' (S. 175). Die Reaktionen des damaligen Katholizismus auf Mauthners Roman waren heftig und zornerfüllt und sind aus heutiger Sicht kaum mehr zu begreifen, es sei denn, Mauthner hat mit seiner Kritik Schmerzendes aufgerührt.

Mauthner hat um die alexandrinische Philosophin einen fesselnden Roman geschrieben, der jeder Trockenheit und jeden Staubbelags entbehrt. Dabei hat er ihrer Geschichte ein gerüttelt Maß an Zeitgenössischem beigemengt oder unterschoben. Freilich ist ihm das kaum zum Vorwurf zu machen, da die Belletristik dieses Privileg schon immer in Anspruch genommen hat. Das Geheimnis um die Person der wirklichen Hypatia indes bleibt auch nach diesem unterhaltsamen und ansprechenden Roman ungelüftet bestehen.

* Vgl. Strunz, Franz: Hypatia in der schönen Literatur (1): Charles Kingsleys „Hypatia or New Foes with an Old Face".
Circulare Nr. 18, 1997, 3-5.

Literatur

Mauthner, Fritz: Hypatia. Roman aus dem Altertum. Stuttgart 1892.

Mauthner, Fritz: Nachwort zum dritten Bande. In ders.: Ausgewählte Schriften 3, 1919. S.327-328.

Anonymus: Fritz Mauthner und Fräulein Professor Hypatia. Stimmen aus Maria-Laach 44, 1893, 123-128.

Arens, Katherine: Between Hypatia and Beauvoir: Philosophy as Discourse. Hypatia 10(4), 1995, 46-75.

Asmus, Rudolf: Hypatia in Tradition und Dichtung. Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte 7, 1907, 11-44.

Brahm Ctto: Ein historischer Roman. Die Nation 9, 1892, 607-08.

Deakin, Michael A. B.: Mathematician and Martyr. A Biography of Hypatia of Alexandria. Monash University Clayton, Victoria, Australia. Department of Mathematics. History of Mathematics Paper 65, 1996.

Dzielska, Maria: Hypatia of Alexandria. Cambridge/Ma. 1995.

Eschenbacher, Walter: Fritz Mauthner und die deutsche Literatur um 1900. Eine Untersuchung zur Sprachkrise der Jahrhundertwende. Frankfurt/M. 1977.

Ewers, Ludwig: Mauthner als Romancier. Das Magazin für Litteratur 63, 1894, 1473-1480.

Kühn, Joachim: Gescheiterte Sprachkritik. Fritz Mauthners Leben und Werk. Berlin 1975.

Proelß, Johannes: Fritz Mauthners „Hypatia". Beilage Nr. 218 zur Allgemeinen Zeitung Nr. 259, 17. September 1892, S. 1-3.

antikinitiale.gif (4181 Byte) Franz Strunz, Deisenhofen

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