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Über Großrechner, Lochkarten und Programmzeilen, die durch das Treppenhaus fliegen
Computern ohne Tastatur
Beim letzten Mal, liebe Kinder, hatte ich euch von Rechenmaschinen zum Anfassen erzählt. Deshalb könnt ihr euch sicher nicht vorstellen, dass ihr am Computer spielt und habt keine Tastatur. So etwas hat es tatsächlich gegeben, allerdings nicht beim Spielen sondern bei der Arbeit. Wie ihr sicher wisst, steht heute fast an jedem Arbeitsplatz in einem Büro ein PC. Das war nicht immer so. Früher gab es in jeder großen Firma einen - und höchstens einen - Großrechner. Der hieß so, weil er groß war; die Leistung war längst nicht so groß wie die von einem heutigen PC. Nun stellt euch mal vor, wie man mit diesem "Rechenzentrum" arbeitete:
Nehmen wir einmal an, ein Ingenieur in einer großen Firma will die Karosserie für ein Auto berechnen. Er hat viele Formeln mit vielen Unbekannten, und die will er vom Computer ausrechnen lassen. Dazu muss er dem Computer die Anweisungen in einer Programmiersprache geben. Er schreibt also in ein Formular, das 80 Felder in jeder Zeile hat, sein Programm. Wenn das Programm fertig geschrieben ist, bringt der Mann den Packen Formulare zum Rechenzentrum. Dort wird das Programm "gelocht": Mit einer Maschine, die eine Schreibmaschinen-Tastatur hat, wird das Programm auf Lochkarten übertragen. Die Lochkarten haben ungefähr das Format von zwei quer nebeneinander liegenden Spielkarten. Für jede Zeile des Programms wird eine Karte mit einem Loch-Code erzeugt: An der Oberkante der Lochkarte steht die Programmzeile in Klartext und in den Spalten darunter jeweils die Lochkodierung für den jeweiligen Buchstaben. Da kommt bei einem längeren Programm schon mal eine Schublade voller Lochkarten zusammen. Danach wird der Rechner über den Lochkartenleser mit dem Programm gefüttert und kann anfangen(!) zu arbeiten. Zu Ende gerechnet wird das Programm so schnell noch nicht. Das erfährt unser Ingenieur, wenn er seinen Kasten mit Lochkarten und den Computer-Ausdruck vom Rechenzentrum abholt und sich in seinem Büro in die Meldungen des Rechners vertieft. Da gibt es Denk-, Programmier-, Schreib-, Loch- und sonstige Fehler, die dem Rechner nur ein müdes ERROR entlocken. Dann setzt sich also der gute Mann wieder hin, korrigiert sein Programm, markiert die Fehler auf den Lochkarten und trägt den Packen wieder ins Rechenzentrum, und so weiter... Daher kommt auch der Name dieser Programmiersprache, mit der sich Ingenierstudenten an der Münchener Uni noch zu Beginn der neunziger Jahre beschäftigen mussten:FORTRAN, weil man den Packen Formulare mit den Programmzeilen und/oder die Lochkarten zum Rechenzentrum VORTRAGEN musste. (Die Rechtschreibung war damals schon reformbedürftig.) Es stimmt übrigens nicht, dass früher die Autos deshalb anders aussahen oder früher rosteten, weil die Entwickler mit Lochkarten arbeiteten.Jetzt stellt euch mal vor, was passiert, wenn der Mann auf der Treppe stolpert und die Lochkarten durch das Treppenhaus fliegen! Es können zwar keine Daten verlorengehen (das ist die gute Nachricht!), aber alle Zeilen des Programms müssen wieder von Hand geordnet werden. Als das ein paar Mal passiert war, fing man an, über Datensicherung nachzudenken.
Aber trotz solcher unfreiwilligen Aktivitäten kann man eigentlich nicht sagen, dass die Arbeitsweise mit Lochkarten interaktiv war. Da seht ihr mal, wie weit wir gekommen sind. Wenn wir heute am Computer Fehler machen, bekommen wir das zwar meistens immer noch schriftlich, aber wenigstens gleich auf dem Bildschirm und nicht auf einer langen Liste, die wir irgendwo abholen müssen.
Überhaupt, stellt euch diese finstere Zeit einmal vor, in der noch nicht einmal die technischen Voraussetzungen für Ballerspiele erfunden waren!
Beim nächsten Mal, liebe Kinder, erzähle ich euch etwas über den Taschenrechner.
Euer Fossil
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