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Heute kommt Rat aus der Vergangenheit. Wer die Digital-Armbanduhr und den Taschenrechner zu Hause vergessen hat, muss nicht verzweifeln.
Uhr ohne Digital
Liebe Kinder, eigentlich hatte ich gehofft, ich hätte euch so viel über die graue Vorzeit erzählt, dass ihr mit den Dingen, die aus der Vorzeit noch in unsere Zeit hereinragen, keine Probleme mehr habt. Aber anscheinend ist das nicht so.
Neulich sah ich auf dem Bahnsteig der S-Bahn ein großes Kind stehen. Es machte einen sehr hilflosen Eindruck, weil es nicht wusste, ob die S-Bahn noch kommen würde, oder ob es sie schon verpasst hatte. Das Kind konnte zwar die Abfahrtzeiten der S-Bahn im Fahrplan lesen, aber es hatte leider seine funkgesteuerte Digital-Armbanduhr zu Hause vergessen. So konnte es nicht die Ziffern des Fahrplans mit der Anzeige seiner Digital-Uhr vergleichen, was ihm sonst mit Hilfe seines Taschenrechners mühelos gelang: Wenn die Differenz positiv war, musste die S-Bahn noch kommen, wenn die Differenz negativ war, dann war sie schon weg.
In diesem Fall, liebe Kinder, sind wir Älteren im Vorteil; aber ich will euch den Trick verraten. Wir kennen nämlich ein archäologisch interessantes Teil, das man praktisch auf allen Bahnhöfen findet: Ein Kreiszylinder mit dem Durchmesser von einem knappen Meter und einem Durchmesser/Längen-Verhältnis von etwa fünf, der in etwa drei Meter Höhe so angebracht ist, dass die Zylinderachse parallel zum Bahnsteig verläuft, dessen von innen beleuchtete Kreisflächen am Rand mit 12 radial verlaufenden festen schwarzen Strichen sowie zwei verschieden langen, vom Mittelpunkt ausgehenden beweglichen Strichen versehen sind - eine tolle Konstruktion! Allgemein sagt man Bahnhofsuhr dazu. Dieses Teil - ihr werdet es nicht glauben - zeigt die Zeit an!
Wie soll man nun diesen Strichcode entschlüsseln? Dafür müssen wir uns freimachen von der Vorstellung, dass die Zeit nur durch blinkende Ziffern dargestellt werden kann. Das führt völlig in die Irre. Nähern wir uns also der Bahnhofsuhr ganz einfach mal intuitiv. Die runde Form entspricht dem Tageslauf, und der kleine "Zeiger" (das ist der eine Strich, der vom Mittelpunkt des Kreises ausgeht) "zeigt", wo wir uns in diesem Tageslauf gerade befinden. Man kann dadurch - sogar bei bedecktem Himmel - praktisch auch den Sonnenstand ablesen. Wenn der kleine Zeiger morgens nach unten zeigt und sich dann ganz langsam nach oben bewegt, dann ist es auch für uns Zeit, uns aus dem Bett zu bewegen. Je höher der kleine Zeiger kommt, desto wacher werden wir, und der Höhepunkt - die Mittagspause - ist erreicht, wenn der kleine Zeiger genau senkrecht steht. Der kleine Zeiger geht immer weiter, und wenn er wieder nach unten zeigt, dann ist Feierabend, und wir sind auch abgeschlafft. Jetzt könnte eigentlich Schluss sein. Aber es gibt ja auch noch die Nachtwächter, Nachtschwärmer und Nachtschichtarbeiter. Für diese Leute lässt man die Uhr auch nachts noch einmal rumlaufen; aber das braucht euch, liebe Kinder, noch nicht zu interessieren. Man kann nun diese Striche auf der Uhr mit (gedachten) Ziffern versehen. Man fängt zum Beispiel oben bei Null an und macht dann im Korkenziehersinn ("Uhrzeigersinn" kennt ihr ja nicht) weiter, und so kann man die Uhrzeit bezeichnen. Wenn zum Beispiel der kleine Zeiger ganz nach links zeigt, sprechen wir von "neun Uhr".
Wenn ihr euch so eine Bahnhofsuhr mal in der Natur anseht, dann werdet ihr feststellen, dass der große Zeiger noch viel schneller umläuft als der kleine. Auch das hat seinen Sinn. Wenn der kleine Zeiger von einem Strich zum anderen gewandert ist, dann sagen wir, dass eine "Stunde" vergangen ist. In dieser Zeit hat der große Zeiger einen Vollkreis beschrieben. Dadurch eignet er sich vorzüglich zum Aufteilen der Stunde. Ein Beispiel: Wenn der kleine Zeiger noch fast ganz nach links zeigt und der große genau nach rechts, dann ist es ein Viertel nach Neun, und die S-Bahn in Ebersberg ist gerade weggefahren.
Wenn ihr hierzu oder sonstwozu noch Fragen habt, liebe Kinder, dann fragt nur: fossil@ich-seh-das-so.de . Es gibt keine dummen Fragen - nur dumme Antworten.
Und die nächste Geschichte ist erstmal die letzte, die ich euch erzähle.
Euer Fossil
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